Die fünftgrößte Stadt der Niederlande lassen viele Reisende links liegen, jagen auf der Autobahn vorbei nach Norden nach Amsterdam oder gen Westen zur Nordsee. Dabei lohnt es, für zwei, drei Tage nach Eindhoven abzubiegen. Aber nicht – nur – wegen des High Tech Campus vor Ort mit 260 Technologieunternehmen und mehr als 12.500 Ingenieuren, Forschern und Entwicklern und wegen der Technischen Universität mit gut 15.000 Studenten. Vielmehr ist Eindhoven traditionell top bei Design und Kunst – mit Veranstaltungen dazu das ganze Jahr über, gerade auch im Herbst.
So wartet aktuell auf Kurzentschlossene GLOW – das internationale Lichtkunst-Festival. Es dauert bis 19. November, findet heuer zum 17. Mal statt, lockte zuletzt 750.000 Interessierte nach Eindhoven und zählt weltweit damit zur Top fünf solcher Lichtkunst-Events. Zu bestaunen sind 33 Werke bzw. Installationen technisch anspruchsvoller Art von nationalen und internationalen Kreativen.
Museum mit Monster
Die Kunst mit Licht folgt in diesem Jahr dem Motto „Urban Skin“ und findet sich draußen an ikonischen Gebäuden und öffentlichen Plätzen der Stadt – etwa am High Tech Campus am Stadtrand im Grünen das Kunstwerk „Monad“ der Norwegerin Anastasia Isachsen (Bild oben, Foto Bart van Overbeeke) oder im Zentrum die Installation „Connecting Your Love“ der Künstler-Gruppe ASML und unübersehbar installiert am Marktplatz mit seinen vielen Passanten. Hier wartet ein Schwarm leuchtender Schmetterlinge mit High-Tech-Qualitäten: Wer sich in ihrer Umgebung fortbewegt, dessen Bewegungen ahmen die Schmetterlinge auf großen LED-Bildschirmen nach.
Von den 33 Lichtkunstwerken feiern 21 auf der diesjährigen GLOW ihre Weltpremiere, so auch die erste begehbare Lichtkunst-Show. Die ist im Van Abbemuseum für zeitgenössische und moderne Kunst zu bewundern, stellt sich laut Künstlern als Museumsmonster dar und wurde vom französischen Kollektiv Picto Facto gestaltet – unter kreativer Mitarbeit von 20.000 Kindern. Zur Sammlung des Van Abbemuseum gehören und sind neben anderen ausgestellt: der spanische Multikönner der Moderne Pablo Picasso oder die russischen Künstler der Avantgarde Wassily Kandinsky oder El Lissitzky oder mit Jan Sluijters und dem etwas älteren Isaac Israels führende Pioniere der Moderne in Holland.
Energie-Konzept und Audio-Tour
In Zeiten einer Energiekrise setzt auch das Festival auf Einsparen, hat eigens eine Energiebilanz erstellt und schaltet als sichtbares Zeichen die Lichter der Kunstwerke eine Stunde früher aus als sonst – 22 statt 23 Uhr. Und Besucher sollen in der Zeit, die sie beim Kunst-Event verbringen, zu Hause alle Lichter und Geräte ausschalten. „So wünschen es sich die Veranstalter – die Stadt Eindhoven und das Unternehmen Signify, ehemals Philips Lightning“, so Ronald Ramakers, der Festivalleiter. Auch neu: die Audio-Tour. „Wir wollen GLOW vom 3D-zum 4D-Festival machen.“
Dutch Design von alt bis neu
Das GLOW-Festvial schließt sich praktisch nahtlos an die Dutch Design Week – kurz DDW – in Eindhoven an. Die findet alljährlich im Oktober statt – heuer vom 22. bis 30. Oktober. Hier gaben sich mehr als 2600 Designer ihr Stelldichein, und rund 350.000 Besucher sahen sich das Programm in mehr als 100 Locations quer durch die Stadt an. Im Fokus hat sie Design-Arbeiten und Design-Konzepte, Zukunftsfragen bei Netzwerk-Events und anderes mehr.
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Die Dutch Design Week gilt auch als Plattform angehender Designer. Zumal es in Eindhoven seit langem eine Design-Akademie gibt. Und bei all dem geht nichts ohne die Firma Philips, den Global Player Koninklijke Philips Electronic N.V. einst mit Hauptsitz und Fertigung in Eindhoven.
Mit Philips kam das Design
Die Firma wurde 1891 gegründet, stellte zunächst Glühlampen her, entwickelte und fertigte später Radios, Funkanlagen, TV-Geräte, CD-Player, Kaffeemaschinen und Rasierapparate und nicht zuletzt Halbleiter. All diese Neuheiten – lange mit hohem Elektrikanteil, im Lauf der Dekaden nach Forschung und Entwicklung mit Elektronik-Features – brachten auch die Kreativität für innovatives Industrie-Design in die Stadt in der Provinz Nordbrabant. Diesen Wurzeln entspringt auch der heutige High Tech Campus. Zwar zog Philips mit Headquarter nach Amsterdam, verlegte die Fertigung in Niederiglohnländer. Aber die Stadt atmet nach wie vor viel Philips, nicht nur durch die in Eindhoven ansässigen Konzern-Unternehmen.
Hippes Leben auf altem Werksgelände
So residiert die Design-Akademie in einem früheren Philips-Gebäude. Oder das weiße Klok-Gebow am sogenannten Strijp-S nahe Stadtzentrum: Es ist heute eine riesige Eventhalle auch zur Dutch Design Week, in der in diesem Jahr Entwickler Baumaterialien aus Recycle-Masse zeigten, wo Forscher die Frage nach dem Supermarkt im Jahr 2050 aufwarfen und junge Industrie-Designer aus Berlin ihren selbst entwickelten First Aid Knot aus Textil zeigten; der hilft dabei, bei Kollabierten den richtigen Fleck zur Herzmassage zu finden.
Das Klok-Gebow al solches steht für Industriearchitektur anno 1928 von Philips, war Fertigungshalle samt Wasserturm mit Uhr dran und ist noch heute von weitem an der Uhr auszumachen.
Neuer Genuss im früheren Maschinenraum
Am Strijp-S stehen weitere Gebäude – früher alles Werksgelände von Philips für die Fertigung etc. Das alles war damals nur für Werksangehörige zugänglich. Heute tummeln sich hier Skater, Müßiggänger mit und ohne Kinderwagen, mit und ohne Fahrrad. Sie steuern die Hallen an, die inzwischen hippe Shops, Büros oder Gastronomiebetriebe beherbergen. Eine Top-Location zum Ausgehen ist das Radio Royaal, früher ein gigantischer Maschinenraum und heute angesagt zum Essen und Trinken. Maschinen und Reste der Transportkrane an den Decken sind teils noch vorhanden und erinnern in ihrem Retro-Look an die harte Maloche früherer Zeiten.
Oder Kazerne – die alte Lager- und Werkstatthalle jenseits des einstigen Philips-Geländes. Sie ist heute eine angesagte Multifunktionshalle mit Gastronomie, mit Ausstellungsflächen für Kunst und Design mitsamt Shop. Im lauschigen Innenhof laden Loungemöbel zum Fachsimpeln und Ausruhen ein.
Websites und weitere Info:
Lichtkunst-Festival. Es dauert bis zum 19. November 2022, also lange genug für Kurzentschlossene https://gloweindhoven.nl
Dutch Design Week. Der Termin für 2023 steht noch nicht fest; sie findet aber traditionell im Oktober statt https://ddw.nl
Cool essen und trinken. Im Radio Royaal https://radioroyaal.be. Im Kazerne https://kazerne.com/en/
Moderne Kunst. Im Van Abbemuseum https://vanabbemuseum.nl/en
Die Stadt: Bei speziellen Street-Art-Führungen werden die großen Fassaden-Malereien erkundet. Und das Flair von Eindhoven erschließt sich gleich mit. Übernachtungsmöglichkeiten und vieles andere mehr im Web unter www.thisiseindhoven.com