Kleidung und Wohnliches einzukaufen ist das eine. Noch dazu am gleichen Ort den Prozess des Entwerfens, der Materialauswahl oder Materialaufarbeitung mit zu erleben, das ist das andere. Solche Kreativ-Shopping-Events bei den Designern eröffnet Arnheim, die südholländische Stadt am Nederrijn nahe der deutschen Grenze. Denn hier am Sitz der tradierten Akademie der Künste ArtEZ wartet ein so auch heißendes „Modekwartier“ mit 60 Studios und Shops individueller Macher von Mode, Taschen und Wohn-Accessoires. Noch dazu mit Fokus auf Nachhaltigkeit – anders also als das, was als Fast-Fashion um die Welt kreist. Auch hat das Arnheimer Mode-Viertel so gar nichts von Glamour oder Exaltiertheit, wie beides der Branche oft zugeschrieben wird.
Vielmehr draußen relaxtes Flair, während sich drinnen in Sachen Mode gutes Design mit handwerklichem Können vereint. Die Besucher finden sich nämlich nicht weit von den Ufern des Nederrijn in einer typischen Alt-Holland-Beschaulichkeit wieder. Hier verteilt sich schön fußläufig das Modekwartier in einem Gewirr enger Straßen mit oft kleinen Wohnhäusern und kleinen Handwerksbetrieben aller Art wie typisch in Wohnvierteln. Das Flair verstärken Cafés und Restaurants wie das Goed Proeven im historischen Gebäude, in dem einst die Post residierte.
Das Modekwartier begann 2006 als Projekt zur Stadtentwicklung und wurde von der Politik gefördert mit dem Ziel, individuelle kleine Studios und Ateliers nahe Zentrum anzusiedeln. Das ist knapp 20 Jahre her und gelungen.
Designer-getrieben und nachhaltig-ambitioniert
Inzwischen ist das Kreativ-Quartier das ganze Jahr über busy und das gerade auch in den Wochen bis Weihnachten und alljährlich im Juni mit einem Monat voller Events zu Mode, Design und Kultur, genannt Modemaand. Um nur einige etablierte Fashion-Designer zu nennen: das Schneideratelier Aarden mit Mode für sie und ihn, das auch vegane Maßanzüge offeriert.
Oder Begane Grond mit den Studios Net-A und Angel Hard, die beide Neues aus Getragenem schaffen.
Oder das Studio von Elsien Gringhuis, die Hochwertiges zum angemessenen Preis in Kleinstmengen fertigt.
Oder Fraenck: Das Taschen-Studio schafft aus Gebrauchtem wie ausgemusterten Stoffen und Filzen von Möbelherstellern und aus Kunstleder schicke Handtaschen, Rucksäcke und Shopper. Das Studio ist als Vegan-Betrieb zertifiziert, daher eben nur Kunstleder.
Studio Hul le Kes
Der Besuch im Studio Hul le Kes zeigt exemplarisch, wie in diesem kreativen Kosmos in Arnheim der besondere Fokus auf Nachhaltigkeit gelegt wird. Unter der Marke Hul le Kes macht ein Männer-Duo Mode für „m/v/x“ und legt dabei Wert auf neue Paradigmen für ihre Kreationen. Das Duo sind Sjaak Hullekes und Sebastiaan Kramer; ersterer der kreative Part und das Gesicht nach außen, letzterer studierter Designer, zudem der Mann für Strategie und Zahlen.
Die zwei und ihr Hul-le-Kes-Team schaffen Nachhaltiges in minimalistischem Design, indem sie zum Beispiel aus ehemaligen Bettlaken hochwertige Hemden und Blusen schneidern oder aus einstigen Wolldecken Jacken und Mäntel für Herbst und Winter. Zudem fabrizieren sie Mode aus Kaschmir und Baumwolle für Kinder im Babyalter, machen aus Wollstoffen Taschen und Wohn-Accessoires, etwa Kissen. „Mehr als 95 Prozent unseres Materials diente zuvor anderen Zwecken“, so Sjaak von Hul le Kes.
Alles ist im internationalen Jargon der Branche up-cycling, also gute Qualität in Schnitt und Stoff – „with Focus on Character“, so Sebastiaan. Up-cycling heißt gerade auch: „Wir arbeiten bei den Bettlaken zum Beispiel nur mit altfranzösischem Leinen. Das finden wir in Holland und Deutschland und natürlich vor allem in Frankreich“, so Sjaak. „Und die Wolldecken sind handgemacht und kommen meist aus Holland.“ Das Duo setzt auf Klasse, kombiniert mit Nachhaltigkeit, so dass ihre Mode made in Arnhem im mittleren bis hohen Preis-Segment liegt.
Unter der Modemarke Hul le Kes werden Kollektionen von der Tunika über Mäntel bis zu Kleidern, Röcken, Hosen und Tops entworfen und geschneidert. Ihre Größen reichen von null bis fünf, passen und getragen werden soll alles über Geschlechter hinweg. Der Name steht zudem für Maßgeschneidertes nach Kundenwunsch, sogar mit eigenem Material der Kunden. Hul le Kes fertigt teils auch „made to order – das heißt, Stücke werden erst nach dem Kauf komplett nach Kundenwunsch gestaltet. So vermeiden wir Überproduktion und Wegwerfartikel“, so Sjaak.
Made in Arnheim für internationale Kunden
Das Duo zeigt seine Stücke international an renommierten Fashion-Adressen in Paris, Florenz und Düsseldorf und hat Handelspartner in Boutiquen von Rotterdam über Zürich bis Tokio und Kapstadt. Sie selbst verkaufen an Endverbraucher in ihrem Hul le Kes-Flagship-Store in einer einstigen Werkshalle in Arnheim und über ihren Online-Shop in Europa und bis nach USA. Und es gibt nicht jede Saison eine neue Kollektion. Zur Philosophie gehört, dass sie Materialien selbst umfärben und dabei experimentieren – „umweltschonend mit Naturstoffen, seien es Zwiebel, Nüsse und ähnliche Naturwerkstoffe“ (Sebastiaan).
Nachhaltig und mit Ethos bei der Arbeit
Überdies bieten sie Flick- und Änderungsservice an. Diese Arbeiten erfolgen im auf den ersten Blick überhöht genannten Recovery Studio. So heißt es, weil Recovery auch die Erholung von Menschen meint. Denn Sjaak und Sebastiaan setzen sich auch für soziale Komponenten ein, indem sie sozial Schwache, die etwa ein Burnout erlitten haben, im Handwerklichen anlernen. „Das geschieht bei uns als Safe Space. Das heißt, die Betreffenden arbeiten ohne Leistungs- und Termindruck“, so Sjaak, von Haus aus studierter Sozialarbeiter. „Dafür kooperieren wir mit anerkannten Sozialorganisationen. Das Soziale gehört zu unserer Philosophie von Nachhaltigkeit und Ethos.“
Um das Handwerklich-Individuelle jedes einzelnen Stücks der Modemarke Hul le Kes zu betonen, haben Sjaak und Sebastiaan ein originelles Markenschild erdacht. Das informiert zur Herkunft des Produkts aus ihrem Haus, enthält Angaben, woher sein Material kommt oder wann das Teil fertiggestellt wurde. Das Schild ähnelt optisch einem Pass – nur dass es an einem Bändchen am Produkt befestigt ist.
Und was passiert, wenn jemand genug hat von seinem Modestück? Sjaak: “Der kann es uns zurückgeben. Wir machen wieder etwas Neues daraus, halten damit also den Lebenszyklus des Materials so langlebig wie möglich.“
Websites und weitere Info
Die Geschäfte und Studios liegen auf der gleichen Seite des Nederrijn wie der Hauptbahnhof Arnhem Centraal und sind von dort gut zu Fuß, per Bus oder Leihfahrrad erreichbar. Details zum Modekwartier und seine 60 Studios und Shops, zu Adressen, Anfahrt und Öffnungszeiten www.modekwartier.nl. Die quasi garantierten Öffnungszeiten: donnerstags bis sonntags; einige Geschäfte öffnen an weiteren Tagen.
Die genannten Studios/Ateliers: Aarden, Sonsbeeksingel 147, @aarden_responsible_wear; www.aarden.space. Begane Grond – Studios Net-A und Angel Hard, Klarendalseweg 476, www.net-a.nl. Elsien Gringhuis, Klarendalseweg 182, @elsiengringhuis, www.elsiengringhuis.com. Fraenck, Beekstraat 30, www.fraenck.com, @fraenck www. Hul le Kes, Wezenstraat 5, www.hullekes.com/hul-le-kes-store
Arnheim positioniert sich als Zentrum der Mode in Holland – auch durch die Initiative „Mode Partners 025“: eine Zusammenarbeit im Bereich Kreativer Kunst und Industrie von Museum Arnheim, Universität der Künste ArtEZ, Rijn Ijssel Creative Industry sowie State of Fashion und Fashion+Design Festivals Arnhem. Ihr Fokus liegt auf nachhaltiger und fairer Textilmode und Forschung und Entwicklung dazu auch auf internationaler Ebene https://stateoffashion.org.
Hoteltipp: das Fünf-Sterne-Hotel Haarhuis am Bahnhof, weil zentral gelegen und schick-relaxt bei Ambiente und Atmosphäre . Es wird gemanagt von Best Western und geht zurück auf das einstige Koffiehuis der Familie Haarhuis von 1918 am gleichen Ort.
Mit Rooftop-Bar Blou; mit der Wein- und Whiskey-Bar Storage im Keller; dem Restaurant Locals mit üppigem Kräutergarten, dem etliche klimatisierte Glas-Container als Gewächshäuschen dienen; und natürlich mit dem Café Hoek für Coffie und Patisserie. https://hotelhaarhuis.nl