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Niederlande: Flevolands junges Wasser-Wunderwerk

Flevoland ist die 12. und jüngste Provinz der Niederlande und von Menschenhand gemacht. Speziell sind ihr Marschland Oostvaardersplassen und die Insel Schokland, die keine mehr ist und daher UNESCO-Welterbe wurde. Zu beidem gibt es Spannendes zu erfahren. Urtypisch Holländisches bietet das neu entstandene Land auch: Spazier- und Radwege, Idylle aus Kanälen, Wald und Wiesen und schönen Gärten. Lebensart-Autorin Ulrike Wirtz war vor Ort.

Das Wasser liegt ruhig in der Mittagssonne. Überhaupt herrscht Stille in den Oostvaardersplassen, Marschland von Menschenhand initiiert und spezielles Naturschutzgebiet im Nationalpark Nieuw Land. Die Marschen grenzen an die Ostseiten von Markermeer und Ijsselmeer, beide Binnenseen, die hintereinander von Norden nach Süden die Niederlande quasi teilen. Der genaue Standort ist ein Aussichtspunkt nahe dem Südtor zum Feuchtgebiet Oostvaardersplassen. Auf dem Wasser schaukeln Vögel im Rhythmus des leichten Wellengangs. Wie gemalt ruhen rechterhand auf festem Boden im Feuchtgebiet direkt am Wasser dunkelbraune Rinder. Alles ist friedlich. Fast meditativ ruhig. Doch unvermittelt bricht Hektik unter den Vögeln aus.

Im neuen Land der Ooostvaardersplassen leben Hunderte Vogelarten Foto Ulrike Wirtz
Im neu geschaffenen Feuchtgebiet Oostvaardersplassen leben Hunderte Vogelarten, auch Seeadler. Wenn der Raubvogel sich nähert, flüchten andere Foto Ulrike Wirtz

Sie schlagen ihre Flügel, kreischen geradezu, heben sich in die Lüfte. Hunderte flattern lautstark davon, suchen als ganzer Pulk wie von Geisterhand gesteuert linkerhand das Weite. Der Besucher staunt – was ist passiert in der Naturidylle? Der zufällig in der Nähe stehende Mann Mitte 50 mit dem Spezialfernglas für Vogelkundler weist mit der Hand in die Lüfte voraus. „Seht auf 12 Uhr, die zwei schwarzen Punkte. Ein Adlerpaar, das ist auch in den Oostvaardersplassen zu Hause.“ Das Paar kommt näher. Der eigene Blick ins entliehene Fernglas zeigt die Adler deutlicher in ihrer Größe, Pracht und Herrlichkeit. Die anderen Vögel seien vor den übermächtigen Raubvögeln geflüchtet, weiß René, fährt griemelnd fort: „Die haben noch nicht gefrühstückt. Hier in den südlichen Marschen haben die Adler große Auswahl. Wir sagen Zeearend. Ihr Seeadler. Auf Englisch White Tailed Eagle.“

Renè kennt sich aus, beschreibt sich als Hobby-Ornithologen und nur einen von vielen, die in diesem Teil der Provinz Felvoland, die 12. und jüngste Provinz der Niederlande, ihrer Leidenschaft frönen. René wohnt gleich um die Ecke vom Südtor in Almere, der größten Stadt der 1986 gegründeten Provinz. Er komme fast täglich her und habe schon öfter die Adler einfliegen sehen: „Sie leben im Norden der Oostvaardersplassen, fliegen dann die 20, 30 Kilometer Luftlinie gen Süden her, um zu jagen. Das ist für die Adler keine Entfernung. Sie haben im Norden des Marschlands ihre Nester, weil dort mehr Bäume wachsen. Hier im Süden gibt es kaum Bäume, aber die besten Aussichten, um Futter zu finden.“

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Hobby-Ornithologe René (li.) beobachtet fast täglich die vielen Vögel im neuen Naturgebiet, oft mit Gleichgesinnten Foto Ulrike Wirtz

Im Marschland von Flevoland folgt alles alten Regeln unberührter Natur. Das ist so gewollt und von Menschenhand angeschoben – auf dass die echte Natur ihr eigenes Schauspiel aufzieht und dass auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein scheint: echte Natur, von Menschenhand gemacht. Wie es dazu kam, hängt mit dem Polder zusammen, also dem Boden, den die Niederländer ihrem Meer östlich des Ijsselmeers abtrotzten. Dieses Ereignis basiert wiederum auf der Eindeichung des früher offenen Meeres namens Zuiderzee, nun der Binnensee Ijsselmeer. Mit dieser Landgewinnung hängt auch zusammen, dass Schokland nunmehr Festland statt Insel ist – mit einer neuen Landfläche meist fünf Meter unter dem Meeresspiegel.

Das alles zusammen ist eine Geschichte von Wasser-Wundern, möglich gemacht durch Werke modernster Ingenieurskunst der Niederländer, dem Meer Land abzutrotzen, durch das Know-How im kleinen Land und die Erfahrungen seit Generationen. Das alles und mehr wird trefflich erzählt im Museum Schokland 50 Autokilometer nördlich der Marschen, wo Seeadler auf Beutezug gehen. Doch dahin später.

Neues Land, neues extra geschütztes Naturentwicklungs-Gebiet

Noch steht das Feuchtgebiet Oostvaardersplassen an mit seinem Schatz an Biotopen aus Gräsern, Schilfen, Morast, Festland, Wiesen, Buschwerk und Bäumen; mit Vogel- und Fischarten und Getier aller Art, ob Mücke, Biene oder Schmetterling. Dazwischen Kilometer an Fußwegen, die zur Pirsch mit und ohne Fernglas einladen oder nur zur Erholung im Grünen mit romantischem Vogelzwitschern, es sei denn Raubvögel nähern sich. Im Marschland lassen sich bisher bis zu rund 220 unterschiedliche Vogelarten beobachten, darunter Blaukehlchen, Reiher, Watvögel, Stelzvögel, Gänse, Enten etc. und nicht zuletzt Seeadler. Natürlich das nicht an einem Tag auf einer Pirsch, betont Naturführer Geert van Rijkbroek, „aber gute Vogelbeobachter können 80 Arten an einem Tag erspähen.“ Profi-Ranger vor Ort bringen es an einem Morgen durchaus auf 116 Arten. Geert: „Die Zahl variiert außerdem je nach Jahreszeit, da manche Vogelarten nur im Areal brüten und andere nur überwintern.“

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Voll in seinem Mieter in den Oostvaardersplassen – Naturführer Geert van Rijbroek Foto Ulrike Wirtz

Was den Fischreichtum im Feuchtgebiet angeht, auch der nimmt zu, 17 Arten sind es bisher. Auf dem festen Land leben inzwischen auch Rothirsche, Heckrinder, wilde Konik-Pferde und Biber. All das erzählt Natur-Guide Geert, betont bei seiner Aufzählung das Wort „bisher“. Denn die Natur baue sich im Gebiet immer noch auf: „Es werden sich hoffentlich noch mehr Pflanzen-, Tier- und Fischarten einfinden. Die Heckrinder und Koniks haben wir eigens im Gebiet angesiedelt. Das sind alte Rassen, sie sollen das Ursprüngliche der Natur mit hervorbringen.“ Wir – damit meint Geert die für die Natur, für Naturmonumente und Nationalparks zuständige staatliche Organisation Staatsbosbeheer. Mit Gebiet meint der Guide nicht den ganzen Nationalpark Nieuw Land, sondern das spezielle Gebiet der Oostvaardersplassen im südlichen Nationalpark Nieuw Land.

Zweitjüngster Nationalpark der Niederlande

Was den jungen Nationalpark Nieuw Land insgesamt ausmacht, auch er abgetrotzt dem Meer. Der Nationalpark wurde auf dem neuen Land 2018 ofiziell gegründet, war damals der jüngste seiner Art im Staat und der erste in der neuen 12. Provinz, steht für Wälder, Wiesen, Kanäle, Teiche, Wander- und Radwege und eine Artenvielfalt auf in toto 29.000 Hektar, davon 7.500 die Oostvaardersplassen. Davon wiederum sind 1.600 Hektar ohne Auflagen öffentlich frei zugänglich: De Driehoek sowie das Oostvaardersveld. So auch der Aussichtspunkt, wo die Adler oft jagen. Der ist 15, 20 Gehminuten vom südlichen Parktor bei Almere entfernt, wo das Natuurbelevingcentrum de Oostvaarders mit Café und Restaurant zur angenehmen Rast einlädt. Das nördliche Tor mit dem Buitencentrum Oostvaardersplassen liegt bei Lelystad.

Das Feuchtegebiet der Oostvaardersplassen auf neu geschaffenem Land Foto NBTC
Natürlicher geht kaum im vom Menschen geschaffenen Flevoland und dem Feuchtgebiet Oostvaardersplassen Foto NBTC

Das Besondere der Oostvaardersplassen ist neben ihrer natürlichen Entwicklung generell das große Areal, das überhaupt nicht öffentlich zugänglich ist. Denn es ist ein sogenanntes N2000-Gebiet und damit ein offizielles, speziell geschütztes Naturentwicklungs-Gebiet. Der Status bedeutet laut Geert: „Auf dem Areal entwickeln sich durch das Zusammenspiel von Böden und Wasser Urlandschaften.“ Das heißt gerade auch, dass der Mensch, konkret der Staatsbosbeheer, seine Experten und Boswachters quasi nicht eingreifen. Ergänzt Hans-Erik Kuypers, Boswachter vom Staatsbosbeheer: „Wir betreiben aber seit 2018 ein aktives Populations-Mangement, um die Zahl der Tiere, sprich der Heckrinder, Konik-Pferde und Hirsche, auf einem Niveau von insgesamt 1.100 zu halten.“

Damit die natürliche Entwicklung geschehen kann, dürfen Besucher das Kerngebiet des N2000-Gebiets auf etwa 1.800 Hektar zwar betreten, aber nur zusammen mit Guides wie Geert. Der kutschiert Gruppen im lautlosen, da batteriegesteuerten Golf-Cart in Langversion durchs Gelände, erklärt Historie, Zielsetzungen und Erreichtes bei Fauna und Flora und stoppt am Aussichts- und Wachturm, der sich durch seine hölzerne Bauweise getarnt gekonnt ins neue Land einpasst. Cart-Touren starten am Südtor bei Almere sowie am Nordtor bei Lelystad. Wie aber konnte dieses Back to the Roots-Areal überhaupt entstehen, war doch hier lange Meer?

Polder statt Wasser, Festland statt Meer rund um Schokland

Die Antworten dazu finden sich trefflich erklärt im Schokland Museum auf der Ex-Insel Schokland. Zumal sie selbst durch Landgewinnung zu Festland mutierte und durch diese Entwicklung sogar von der UNESCO zu Weltkulturerbe erklärt wurde. Im Museum zeigt sich, dass diese Entwicklungen eng verflochten sind mit der Entstehungsgeschichte der neuen Provinz Flevoland östlich von Ijsselmeer und Markermeer, noch dazu, dass das alles mit dem Afsluijtdijk im hohen Norden begonnen hat.

Das Eiland Schokland, das zuletzt vier Kilometer in der Länge und kaum mehr in der Breite maß, derart fraß die Erosion durch die Zuiderzee an ihrem Land: Heute geht es per Auto quasi bis vor die Museumstür. Auf den letzten Kilometern Fahrt finden sich keine sichtbaren Anzeichen dafür, dass hier schon Meer war und es nur per Boot weiterging. Heuer kein Wasser weit und breit. Stattdessen Farmen, Felder, kleine Orte und Verkehrswegenetze für Autos, Fietsen und Fußgänger.

Nun Ackerland, einst Meer - Guide Niko de Boer erklärt Schoklands Mutation Foto Ulrike Wirtz
Einst Meer, nun Äcker und Weiden – Guide Niko de Boer erklärt Schoklands Mutation und die Symbolik einer Bronze von einer Frau mit Gepäck Foto Ulrike Wirtz

Im Museum kommt Klarheit in die spannende Sache: durch alte Bilder und Fotos, durch Dokumente, Artefakte und Videos und auch dank Nico de Boer, einer der Museumsführer. Er erzählt fesselnd und detailreich, erklärt alte Landkarten und neuere Fotos zur Lage der Insel und des Umlands, sagt: „Wir müssen weit zurückgehen.“ Einst war die Insel Schokland in der östlichen Zuiderzee dank ihres Leuchtturms und wegen der langgestreckten Form von Nord nach Süd wichtige Landmarke für Schiffe auf dem tief ins Land hineindrängende Teil der Zuiderzee, die immer mehr Boden auffraß und desaströse Sturmfluten schickte wie die vom Januar 1916.

Diese Flut gab denn auch den Ausschlag, endlich den länger geplanten Afsluitdijk im hohen Norden der Niederlande zu bauen: auf dass die wilde Zuiderzee durch den Damm eingehegt und zum gemäßigten Binnensee Ijsselmeer wurde. Das Bauwerk nach Entwurf des Ingenieurs Cornelis Lely war 1932 abgeschlossen.

Die Insel Schokland 1932 aus der Luft Foto vom Foto Ulrike Wirtz
1935, zu Zeiten der Luftaufnahme, war Schokland noch Insel und seit Dekaden unbewohnbar – Foto vom Foto Ulrike Wirtz

Geplant war auch, aus der Trockenlegung des Meeresgrunds Festland zur Besiedlung zu gewinnen. Daher wurde ein System aus Deichen, Wasserpumpanlagen und Kanälen, um das abgepumpte Wasser abzutransportieren, vorangetrieben: die Zuiderzeewerken, auf Deutsch ohne das n am Ende. So baute sich nach und nach Polder östlich der Binnenseen Ijsselmeer und Markermeer auf, genannt Noordoost-Polder und Flevopolder als der südlichere Teil. Deren Entstehung war 1942 soweit, somit die Basis für Flevoland gelegt. Deren Provinzfläche: rd. 1.410 Quadratkilometer Festland und ca. 1.000 Quadratkilometer Wassergebiet. Alles am Reißbrett geplant: Menschen zogen her, Städte wie Almere und Lelystad entstanden, zudem Dörfer wie Marknesse und Ens. Industriegebiete wurden erschlossen, ein Großteil des neuen Landes für die Landwirtschaft reserviert.

Eine 12. Provinz – geboren mittels High-Tech-Ingenieurskunst

So auch der zu Festland mutierte einstige Meeresgrund um die einstige Insel Schokland, wie der Blick vom Museum auf saftig-grüne Wiesen und Felder zeigt, auf rote Dächer von Farmhäusern und Scheunen hier und da. Der schönste Blick lässt sich vom Kirchlein gegenüber dem Museum genießen, von der Enserkerk von 1834. Den Blick ins Innere des Kirchleins nicht vergessen mit ihrer ansehnlichen Kanzel im holländisch-typischen Anstrich in Grachtengrün und ansonsten Weiß. Die Kirche heißt auch Waterstaatkerk – nach der mächtigen staatlichen Behörde Rijkswaterstaat, der alle niederländischen  Aktivitäten des Wassermanagements und der riesigen Bollwerke gegen das Meer obliegen.

Schoklands Historie handelt von Flutkatastrophen, untergegangenen Schiffen, von Feuersbrünsten, von Armut in den einfachen Wohnkaten, die auf Bildern verewigt sind und einen beim Betrachten die kargen Lebensverhältnisse fast körperlich spüren lassen, und von abwandernden Inselbewohnern. Was für ein Drama schrieb hier die Natur: Die Schokker waren Fischer und Bauern auf der immer kleineren Fläche des Eilands an der Ost-Seite der einstigen Zuiderzee. Durch deren wildes Tun verschlechterten sich die Lebensbedingungen der Insulaner, viele zogen weg. Gab es rund 1775 noch ca. 650 Bewohner, sank deren Zahl noch weiter. Bis das Eiland Schokland 1859 mit amtlicher Verfügung zu räumen war. Guide Nico: „Es blieben der Hafenmeister im Hafen Emmeloord sowie einige Fischer und der Leuchtturmwärter am Zuidpunt. Und Deicharbeiter kamen je nach Jahreszeit.“

So klein die Insel, so unterschiedlich kleideten sich je nach Religion die Frauen vor Ort  Foto Ulrike Wirtz
So klein die Insel, so anders kleideten sich die Frauen je nach Religion. Relikte aus langen Insel-Zeiten machen Schokland zum UNESCO-Weltkulturerbe Foto Ulrike Wirtz

Was sich heute so einfach erzählt, bedeutete für die Betroffenen Entbehrungen, gar Verluste und schicksalhafte Zeiten. „Zumal die Schokker ihre eigene Identität hatten, nämlich einen eigenen Akzent, eigene Trachten und Tänze.“ Diese Vergangenheit pflegen die Nachkommen der Insulaner heute in der eigens 1985 gegründeten Schokkervereniging. Diese Entwicklungen bedeuteten aber auch neues Land und neue Möglichkeiten. Rund 70 Jahre nach Räumung der Insel war der Afsluitdijk fertig, der Wasserspiegel fiel, auch rund um die Insel mehr und mehr, die Polder schritt voran, bis sie 1942 Landfläche wurde. Nunmehr kam die Zeit der Land-  und Stadtplaner, der Architekten und Baugewerke in Flevoland.

Flusspferde in der Ijssel

Was Schokland speziell macht und UNESCO-Status brachte: Mit der Trockenlegung kam auch die Zeit der Archäologen etc.. Sie konnten den Ex-Meeresgrund nun zu Fuß durchstreifen, suchten ihn nach alten Zeugnissen von Entwicklung und Kultur der Bewohner ab, die schon vor 10.000 Jahren Schokland bewohnten, und über den Schiffsverkehr, der rund um die Insel unterwegs war, und fanden sogar noch ältere Spuren bis in die Eiszeit. Die Funde machten Schokland 1995 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Guide Nico: „Es gibt über 160 archäologische Fundstellen. Darunter die versteinerten Fußabdrücke, die in einstigem Lehm hinterlassen wurden. Eine Rarität. Sie wurden 1984 entdeckt.“

Heute Land, davor Meer, davor Land - davon zeugen Knochenfunde rund um die einstige Insel Schokland Foto Ulrike Wirtz
Heute Land, davor Meer, davor Land, davor Eis, davon zeugen Knochenfunde rund um die einstige Insel Schokland Foto Ulrike Wirtz

Oder das männliche Skelett von geschätzt 2400 A.C., von Archäologen eingebettet in eine nachempfundene Grabstelle. Der Boden setzte auch Erkenntnisse frei, dass vor rund 125.000 Jahren das Eis der damaligen Eiszeit vor Ort schmolz, dass es heißer wurde, der Wasserspiegel stieg und tropische Flora und Fauna bescherte mitsamt Elefanten, Nashörnern und in der Ijssel schwimmenden Flusspferden. „Das wissen wir durch Knochenfunde.“

Das Museum zeigt Bilder von der Landwerdung der Insel Foto der Fotos Ulrike Wirtz
Das Museum zeigt Bilder von der Landwerdung Foto der Fotos Ulrike Wirtz

Die Geschichte mit ihren Eis- und Heißzeiten kommt einem bekannt vor, die Infotafel Klimaatverandering im Musuem bringt verständlich den Evolutionsrhythmus der Erde in Erinnerung. Dann fällt der Blick auf ein reliefartiges Modell an der Museumswand, das die Landgewinnung der Niderlande über Jahrzehnte verdeutlicht. Aber das erklärt noch nicht, warum die Trockenlegung hier und das Feuchtgebiet südlich irgendwie zusammengehören.

Erst Land gewinnen, dann die Natur machen lassen

Dafür geht‘s zu den Oostvaardersplassen zurück – zu Hans-Erik Kuypers, dem Boswachter vom Staatsbosbeheer. Und mit ihm ins Jahr 1968. „Das Feuchtgebiet mit dem Naturentwicklungsgebiet ist ganz zufällig entstanden. Denn 1968 stellte sich heraus, dass trotz der Eindeichungen und der weiteren Anlagen zum Wassermanagement ein Gebiet im neu entstehenden Flevoland einfach nicht trocken fiel. Das war am tiefsten Punkt des Flevopolder.“ Eigentlich habe in dem Areal ein Industriegebiet entstehen sollen. „Dann wurde es erst einmal in Ruhe gelassen.“ So konnten sich Brachflächen von allein entwickeln, der Wasserpegel machte sie zum Feuchtgebiet mit Morast etc.

So also löst sich der vermeintliche Widerspruch auf – hier trocken, da nass. Bis die Grundlage der Oostvaardersplassen richtig stand, griff auch der Mensch noch ein, baute unter anderem fünf Jahre Raps an, um den Brachen den Salzgehalt als Relikte der alten Zuiderzee zu entziehen. Das hatte Geert erzählt. Auch sei später dafür gesorgt worden, dass sich Schilf ansiedeln konnte – „damit sich der neu gewonnene Boden stabilisiert. Das Schilf wurde aus Flugzeugen abgeworfen und setzte sich dann von selbst“. Hobby-Ornothologe Renè hatte erklärt, was Plassen bedeutet: „Im Kontext hier Pfütze oder Tümpel.“ Hatte dann gegriemelt und ergänzt: „Es bedeutet aber auch pinkeln.“

Oostvaardersplassen Aussicchts- und Wachturm Foto NBTC
Der Aussichts- und Wachturm für gute Einblicke Foto NBTC

Und dann die zwei aus Belgien angereisten Hobbyornithologen John und Stefan – sie hatten nur geschwärmt: „Hier in den Oostvaardersplassen entstand das schönste Vogelgebiet weit und breit und ist noch nicht fertig. Wir sind überall in Europa auf der Jagd nach Vögeln.“ Auch sie bewaffnet mit Spezialfernglas, noch dazu Kamera mit langem Teleobjektiv und angetroffen nahe Nordeingang am Buitencentrum Oostvaardersplassen. „Wir haben hier heute Morgen schon einen jungen Seeadler gesehen“. Der habe noch kein weißes Gefieder gehabt – „daran ist er gut zu erkennen“, so die Belgier. Und dürfte sicher zum Nachwuchs des Paares gehören, das im Süden Futter jagt.

Mehr Info und wichtige Websites

Zwei Besonderheiten finden sich in der niederländischen Provinz Flevoland im Osten der Binnenseen Ijsselmeer und Markermeer.

1. Die Oostvaardersplassen genießen den Sonderstatus Naturentwicklungs-Gebiet, liegen nahe Lelystad und Almere östlich von Ijsselmeer und Markermeer und gehören zum National Park Nieuw Land www.nationaalparknieuwland.nl Zu Natur und Naturmonumenten www.staatsbosbeheer.nl. Karten mit Wander- und Fahrradwegen www.ovpalmere.nl; www.visitflevoland.nl; www.holland.com

Lukullischer Tipp: Das Südtor zum Marschland nahe Almere markiert das Natuurbelevingcentrum de Oostvaarders mit Café und Restaurant; es ist geschmackvoll eingerichtet, hat gute Küche und 1a-Blick übers Naturschutzgebiet. Bei Lelystad ist das Nordtor am Buitencentrum Oostvaardersplassen.

2. Die einstige Insel Schokland lag in der östlichen Zuiderzee, wurde zum Festland und hat es zum UNESCO-Weltkulturerbe gebracht. Dazu gehörte ein Kampf ums pure Überleben. Von dem und anderem mehr erzählt das Museum Schokland www.museumschokland.nl; https://schokland.nl; www.visitnoordoostpolder.nl

Extratipp: das Waldmuseum Waterloopbos und die Wasser-Bollwerke

Man stelle sich die Zeit ohne Computer vor und wie damals Bauwerke entwickeln, durchplanen und testen. Das gilt gerade auch für die mächtigen Bollwerke gegen die Urgewalten des Meeres an den niederländischen Nordsee-Küsten, unter anderem die Deltawerke. Ingenieure schufen damals aufwendig Modelle, um reale Bedingungen zu simulieren und die angedachten Lösungen zu testen. Solche Anlagen sind heute noch zu bewundern – mitten in einem lauschigen Wald nahe Marknesse in Flevoland: der Waterloopbos. Allein dieses Deltagoot, das einem als erstes ins Auge fällt, wenn man den Park am sogenannten Proeflab Waterloopbos, dem Café und Restaurant, betritt.

Waterloopbos mit dem Deltagoot Foto Ulrike Wirtz
Das Deltagoot war Testanlage im Kampf gegen zerstörerische Fluten; heute ist es Teil eines Naturmonuments und als Kunstwerk namens Deltawerk auferstanden Foto Ulrike Wirtz

Das Deltagoot war als Versuchsanlage komplett unter Erdhügeln begraben, war 240 Meter lang, fünf Meter breit und sieben Meter tief. Wellen in Höhe von zwei bis zweieinhalb Meter konnten duch die Betonanlage gepeitscht werden, um die Sturmverhältnisse an der Oosterschelde zu simulieren und um so zu erarbeiten, welches Bauwerk robust genug dagegen war. Heute ruht hier still das Wasser.

Das ist der opulente Auftakt im Waterloopbos, der einst der Ort eines Freiluftlabors für High-Tech Wasserinfrastruktur war und heute den Status als Natuurmonument trägt, der idyllisch mitten im Wald liegt und zwar nahe Schokland. Das Monument und der Wald dazu stehen jedem offen und können allein erkundet werden. Oder es geht auf Tour mit Guides wie Hermann Schilt von der Organisation Natuurmonumenten. Der einstige Dozent führt zu den Anlagen, erklärt sie und weiß viel überdies zu Fauna und Flora im Bos zu erzählen. „Hier wurden die Häfen von Rotterdam nachgebaut und sogar die berühmten Deltawerke – in viel kleineren Maßstäben natürlich. Und seht hier das Moos. Im Bos wachsen mehr als 90 Moosarten und Hunderte Pilzarten.“

Das Freiluftlabor im jungen Polderland hatte die niederländische Regierung um 1951 einrichten lassen – auf 90 Hektar Land und ausgestattet mit einer Manpower von 300, 400 Ingenieur-Wissenschaftlern. Sie forschten und entwickelten Lösungen gegen Überflutungen und Erosion durchs Meer und bauten entsprechende Testmodelle für Wehre, Hafenanlagen und ähnliches mehr. Guide Hermann: „Ihr Know-how zu Wasserinfrastruktur war aber auch in der ganzen Welt gefragt. Wie auch noch heute. So bauten die Ingenieure unter anderem auch den Hafen von Bangkok um und simulierten ihr Konzept anhand eines Modells im heutigen Waterloopbos.“

Waterloopbos-Ingenieure bei der-Arbeit Foto vom Foto Ulrike WIrtz
Heute ist der Waterloopbos ein Naturmonument, früher war er ein Freiluftlabor; ein Foto von Ingenieuren bei der Arbeit Foto vom Foto Ulrike WIrtz

Es entstanden zudem Modelle für einen Hafen in Laos oder für Schleusenanlagen am Persischen Golf und sind heute als Zeitzeugen hoher Ingenieurskunst wie in einem Outdoor-Technikmuseum zu bewundern. Und dann kamen die Computer, die Simulationen erfolgten mithilfe von Software, die Modelle wurden nicht mehr gebraucht. Das Freiluftlabor im Wald schloss seine Pforten und ist nun als Ort einer spannenden Zeitreise wieder auferstanden.

Vom 13. bis 14. September ist Open Monumentendag in den Niederlanden – auch im Waterloopbos. Dann fahren manche Anlagen Tests wie zu ihren frühen Tagen. Details www.natuurmonumenten.nl

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