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Niederlande: Flevolands junges Wasser-Wunderwerk

Flevoland ist die 12. und jüngste Provinz der Niederlande und von Menschenhand gemacht. Speziell sind ihr Marschland Oostvaardersplassen und die Insel Schokland, die keine mehr ist und daher UNESCO-Welterbe wurde. Zu beidem gibt es Spannendes zu erfahren. Urtypisch Holländisches bietet das neu entstandene Land auch: Spazier- und Radwege, Idylle aus Kanälen, Wald und Wiesen und schönen Gärten. Lebensart-Autorin Ulrike Wirtz war vor Ort.

Das Wasser liegt ruhig in der Mittagssonne. Überhaupt herrscht Stille in den Oostvaardersplassen, Marschland von Menschenhand initiiert und spezielles Naturschutzgebiet im Nationalpark Nieuw Land. Die Marschen grenzen an die Ostseiten von Markermeer und Ijsselmeer, beide Binnenseen, die hintereinander von Norden nach Süden die Niederlande quasi teilen. Der genaue Standort ist ein Aussichtspunkt nahe dem Südtor zum Feuchtgebiet Oostvaardersplassen. Auf dem Wasser schaukeln Vögel im Rhythmus des leichten Wellengangs. Wie gemalt ruhen rechterhand auf festem Boden im Feuchtgebiet direkt am Wasser dunkelbraune Rinder. Alles ist friedlich. Fast meditativ ruhig. Doch unvermittelt bricht Hektik unter den Vögeln aus.

Im neuen Land der Ooostvaardersplassen leben Hunderte Vogelarten Foto Ulrike Wirtz
Im neu geschaffenen Feuchtgebiet Oostvaardersplassen leben Hunderte Vogelarten, auch Seeadler. Wenn der Raubvogel sich nähert, flüchten andere Foto Ulrike Wirtz

Sie schlagen ihre Flügel, kreischen geradezu, heben sich in die Lüfte. Hunderte flattern lautstark davon, suchen als ganzer Pulk wie von Geisterhand gesteuert linkerhand das Weite. Der Besucher staunt – was ist passiert in der Naturidylle? Der zufällig in der Nähe stehende Mann Mitte 50 mit dem Spezialfernglas für Vogelkundler weist mit der Hand in die Lüfte voraus. „Seht auf 12 Uhr, die zwei schwarzen Punkte. Ein Adlerpaar, das ist auch in den Oostvaardersplassen zu Hause.“ Das Paar kommt näher. Der eigene Blick ins entliehene Fernglas zeigt die Adler deutlicher in ihrer Größe, Pracht und Herrlichkeit. Die anderen Vögel seien vor den übermächtigen Raubvögeln geflüchtet, weiß René, fährt griemelnd fort: „Die haben noch nicht gefrühstückt. Hier in den südlichen Marschen haben die Adler große Auswahl. Wir sagen Zeearend. Ihr Seeadler. Auf Englisch White Tailed Eagle.“

Renè kennt sich aus, beschreibt sich als Hobby-Ornithologen und nur einen von vielen, die in diesem Teil der Provinz Felvoland, die 12. und jüngste Provinz der Niederlande, ihrer Leidenschaft frönen. René wohnt gleich um die Ecke vom Südtor in Almere, der größten Stadt der 1986 gegründeten Provinz. Er komme fast täglich her und habe schon öfter die Adler einfliegen sehen: „Sie leben im Norden der Oostvaardersplassen, fliegen dann die 20, 30 Kilometer Luftlinie gen Süden her, um zu jagen. Das ist für die Adler keine Entfernung. Sie haben im Norden des Marschlands ihre Nester, weil dort mehr Bäume wachsen. Hier im Süden gibt es kaum Bäume, aber die besten Aussichten, um Futter zu finden.“

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Hobby-Ornithologe René (li.) beobachtet fast täglich die vielen Vögel im neuen Naturgebiet, oft mit Gleichgesinnten Foto Ulrike Wirtz

Im Marschland von Flevoland folgt alles alten Regeln unberührter Natur. Das ist so gewollt und von Menschenhand angeschoben – auf dass die echte Natur ihr eigenes Schauspiel aufzieht und dass auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein scheint: echte Natur, von Menschenhand gemacht. Wie es dazu kam, hängt mit dem Polder zusammen, also dem Boden, den die Niederländer ihrem Meer östlich des Ijsselmeers abtrotzten. Dieses Ereignis basiert wiederum auf der Eindeichung des früher offenen Meeres namens Zuiderzee, nun der Binnensee Ijsselmeer. Mit dieser Landgewinnung hängt auch zusammen, dass Schokland nunmehr Festland statt Insel ist – mit einer neuen Landfläche meist fünf Meter unter dem Meeresspiegel.

Das alles zusammen ist eine Geschichte von Wasser-Wundern, möglich gemacht durch Werke modernster Ingenieurskunst der Niederländer, dem Meer Land abzutrotzen, durch das Know-How im kleinen Land und die Erfahrungen seit Generationen. Das alles und mehr wird trefflich erzählt im Museum Schokland 50 Autokilometer nördlich der Marschen, wo Seeadler auf Beutezug gehen. Doch dahin später.

Neues Land, neues extra geschütztes Naturentwicklungs-Gebiet

Noch steht das Feuchtgebiet Oostvaardersplassen an mit seinem Schatz an Biotopen aus Gräsern, Schilfen, Morast, Festland, Wiesen, Buschwerk und Bäumen; mit Vogel- und Fischarten und Getier aller Art, ob Mücke, Biene oder Schmetterling. Dazwischen Kilometer an Fußwegen, die zur Pirsch mit und ohne Fernglas einladen oder nur zur Erholung im Grünen mit romantischem Vogelzwitschern, es sei denn Raubvögel nähern sich. Im Marschland lassen sich bisher bis zu rund 220 unterschiedliche Vogelarten beobachten, darunter Blaukehlchen, Reiher, Watvögel, Stelzvögel, Gänse, Enten etc. und nicht zuletzt Seeadler. Natürlich das nicht an einem Tag auf einer Pirsch, betont Naturführer Geert van Rijkbroek, „aber gute Vogelbeobachter können 80 Arten an einem Tag erspähen.“ Profi-Ranger vor Ort bringen es an einem Morgen durchaus auf 116 Arten. Geert: „Die Zahl variiert außerdem je nach Jahreszeit, da manche Vogelarten nur im Areal brüten und andere nur überwintern.“

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Voll in seinem Mieter in den Oostvaardersplassen – Naturführer Geert van Rijbroek Foto Ulrike Wirtz

Was den Fischreichtum im Feuchtgebiet angeht, auch der nimmt zu, 17 Arten sind es bisher. Auf dem festen Land leben inzwischen auch Rothirsche, Heckrinder, wilde Konik-Pferde und Biber. All das erzählt Natur-Guide Geert, betont bei seiner Aufzählung das Wort „bisher“. Denn die Natur baue sich im Gebiet immer noch auf: „Es werden sich hoffentlich noch mehr Pflanzen-, Tier- und Fischarten einfinden. Die Heckrinder und Koniks haben wir eigens im Gebiet angesiedelt. Das sind alte Rassen, sie sollen das Ursprüngliche der Natur mit hervorbringen.“ Wir – damit meint Geert die für die Natur, für Naturmonumente und Nationalparks zuständige staatliche Organisation Staatsbosbeheer. Mit Gebiet meint der Guide nicht den ganzen Nationalpark Nieuw Land, sondern das spezielle Gebiet der Oostvaardersplassen im südlichen Nationalpark Nieuw Land.

Zweitjüngster Nationalpark der Niederlande

Was den jungen Nationalpark Nieuw Land insgesamt ausmacht, auch er abgetrotzt dem Meer. Der Nationalpark wurde auf dem neuen Land 2018 ofiziell gegründet, war damals der jüngste seiner Art im Staat und der erste in der neuen 12. Provinz, steht für Wälder, Wiesen, Kanäle, Teiche, Wander- und Radwege und eine Artenvielfalt auf in toto 29.000 Hektar, davon 7.500 die Oostvaardersplassen. Davon wiederum sind 1.600 Hektar ohne Auflagen öffentlich frei zugänglich: De Driehoek sowie das Oostvaardersveld. So auch der Aussichtspunkt, wo die Adler oft jagen. Der ist 15, 20 Gehminuten vom südlichen Parktor bei Almere entfernt, wo das Natuurbelevingcentrum de Oostvaarders mit Café und Restaurant zur angenehmen Rast einlädt. Das nördliche Tor mit dem Buitencentrum Oostvaardersplassen liegt bei Lelystad.

Das Feuchtegebiet der Oostvaardersplassen auf neu geschaffenem Land Foto NBTC
Natürlicher geht kaum im vom Menschen geschaffenen Flevoland und dem Feuchtgebiet Oostvaardersplassen Foto NBTC

Das Besondere der Oostvaardersplassen ist neben ihrer natürlichen Entwicklung generell das große Areal, das überhaupt nicht öffentlich zugänglich ist. Denn es ist ein sogenanntes N2000-Gebiet und damit ein offizielles, speziell geschütztes Naturentwicklungs-Gebiet. Der Status bedeutet laut Geert: „Auf dem Areal entwickeln sich durch das Zusammenspiel von Böden und Wasser Urlandschaften.“ Das heißt gerade auch, dass der Mensch, konkret der Staatsbosbeheer, seine Experten und Boswachters quasi nicht eingreifen. Ergänzt Hans-Erik Kuypers, Boswachter vom Staatsbosbeheer: „Wir betreiben aber seit 2018 ein aktives Populations-Mangement, um die Zahl der Tiere, sprich der Heckrinder, Konik-Pferde und Hirsche, auf einem Niveau von insgesamt 1.100 zu halten.“

Damit die natürliche Entwicklung geschehen kann, dürfen Besucher das Kerngebiet des N2000-Gebiets auf etwa 1.800 Hektar zwar betreten, aber nur zusammen mit Guides wie Geert. Der kutschiert Gruppen im lautlosen, da batteriegesteuerten Golf-Cart in Langversion durchs Gelände, erklärt Historie, Zielsetzungen und Erreichtes bei Fauna und Flora und stoppt am Aussichts- und Wachturm, der sich durch seine hölzerne Bauweise getarnt gekonnt ins neue Land einpasst. Cart-Touren starten am Südtor bei Almere sowie am Nordtor bei Lelystad. Wie aber konnte dieses Back to the Roots-Areal überhaupt entstehen, war doch hier lange Meer?

Polder statt Wasser, Festland statt Meer rund um Schokland

Die Antworten dazu finden sich trefflich erklärt im Schokland Museum auf der Ex-Insel Schokland. Zumal sie selbst durch Landgewinnung zu Festland mutierte und durch diese Entwicklung sogar von der UNESCO zu Weltkulturerbe erklärt wurde. Im Museum zeigt sich, dass diese Entwicklungen eng verflochten sind mit der Entstehungsgeschichte der neuen Provinz Flevoland östlich von Ijsselmeer und Markermeer, noch dazu, dass das alles mit dem Afsluijtdijk im hohen Norden begonnen hat.

Das Eiland Schokland, das zuletzt vier Kilometer in der Länge und kaum mehr in der Breite maß, derart fraß die Erosion durch die Zuiderzee an ihrem Land: Heute geht es per Auto quasi bis vor die Museumstür. Auf den letzten Kilometern Fahrt finden sich keine sichtbaren Anzeichen dafür, dass hier schon Meer war und es nur per Boot weiterging. Heuer kein Wasser weit und breit. Stattdessen Farmen, Felder, kleine Orte und Verkehrswegenetze für Autos, Fietsen und Fußgänger.

Nun Ackerland, einst Meer - Guide Niko de Boer erklärt Schoklands Mutation Foto Ulrike Wirtz
Einst Meer, nun Äcker und Weiden – Guide Niko de Boer erklärt Schoklands Mutation und die Symbolik einer Bronze von einer Frau mit Gepäck Foto Ulrike Wirtz

Im Museum kommt Klarheit in die spannende Sache: durch alte Bilder und Fotos, durch Dokumente, Artefakte und Videos und auch dank Nico de Boer, einer der Museumsführer. Er erzählt fesselnd und detailreich, erklärt alte Landkarten und neuere Fotos zur Lage der Insel und des Umlands, sagt: „Wir müssen weit zurückgehen.“ Einst war die Insel Schokland in der östlichen Zuiderzee dank ihres Leuchtturms und wegen der langgestreckten Form von Nord nach Süd wichtige Landmarke für Schiffe auf dem tief ins Land hineindrängende Teil der Zuiderzee, die immer mehr Boden auffraß und desaströse Sturmfluten schickte wie die vom Januar 1916.

Diese Flut gab denn auch den Ausschlag, endlich den länger geplanten Afsluitdijk im hohen Norden der Niederlande zu bauen: auf dass die wilde Zuiderzee durch den Damm eingehegt und zum gemäßigten Binnensee Ijsselmeer wurde. Das Bauwerk nach Entwurf des Ingenieurs Cornelis Lely war 1932 abgeschlossen.

Die Insel Schokland 1932 aus der Luft Foto vom Foto Ulrike Wirtz
1935, zu Zeiten der Luftaufnahme, war Schokland noch Insel und seit Dekaden unbewohnbar – Foto vom Foto Ulrike Wirtz

Geplant war auch, aus der Trockenlegung des Meeresgrunds Festland zur Besiedlung zu gewinnen. Daher wurde ein System aus Deichen, Wasserpumpanlagen und Kanälen, um das abgepumpte Wasser abzutransportieren, vorangetrieben: die Zuiderzeewerken, auf Deutsch ohne das n am Ende. So baute sich nach und nach Polder östlich der Binnenseen Ijsselmeer und Markermeer auf, genannt Noordoost-Polder und Flevopolder als der südlichere Teil. Deren Entstehung war 1942 soweit, somit die Basis für Flevoland gelegt. Deren Provinzfläche: rd. 1.410 Quadratkilometer Festland und ca. 1.000 Quadratkilometer Wassergebiet. Alles am Reißbrett geplant: Menschen zogen her, Städte wie Almere und Lelystad entstanden, zudem Dörfer wie Marknesse und Ens. Industriegebiete wurden erschlossen, ein Großteil des neuen Landes für die Landwirtschaft reserviert.

Eine 12. Provinz – geboren mittels High-Tech-Ingenieurskunst

So auch der zu Festland mutierte einstige Meeresgrund um die einstige Insel Schokland, wie der Blick vom Museum auf saftig-grüne Wiesen und Felder zeigt, auf rote Dächer von Farmhäusern und Scheunen hier und da. Der schönste Blick lässt sich vom Kirchlein gegenüber dem Museum genießen, von der Enserkerk von 1834. Den Blick ins Innere des Kirchleins nicht vergessen mit ihrer ansehnlichen Kanzel im holländisch-typischen Anstrich in Grachtengrün und ansonsten Weiß. Die Kirche heißt auch Waterstaatkerk – nach der mächtigen staatlichen Behörde Rijkswaterstaat, der alle niederländischen  Aktivitäten des Wassermanagements und der riesigen Bollwerke gegen das Meer obliegen.

Schoklands Historie handelt von Flutkatastrophen, untergegangenen Schiffen, von Feuersbrünsten, von Armut in den einfachen Wohnkaten, die auf Bildern verewigt sind und einen beim Betrachten die kargen Lebensverhältnisse fast körperlich spüren lassen, und von abwandernden Inselbewohnern. Was für ein Drama schrieb hier die Natur: Die Schokker waren Fischer und Bauern auf der immer kleineren Fläche des Eilands an der Ost-Seite der einstigen Zuiderzee. Durch deren wildes Tun verschlechterten sich die Lebensbedingungen der Insulaner, viele zogen weg. Gab es rund 1775 noch ca. 650 Bewohner, sank deren Zahl noch weiter. Bis das Eiland Schokland 1859 mit amtlicher Verfügung zu räumen war. Guide Nico: „Es blieben der Hafenmeister im Hafen Emmeloord sowie einige Fischer und der Leuchtturmwärter am Zuidpunt. Und Deicharbeiter kamen je nach Jahreszeit.“

So klein die Insel, so unterschiedlich kleideten sich je nach Religion die Frauen vor Ort  Foto Ulrike Wirtz
So klein die Insel, so anders kleideten sich die Frauen je nach Religion. Relikte aus langen Insel-Zeiten machen Schokland zum UNESCO-Weltkulturerbe Foto Ulrike Wirtz

Was sich heute so einfach erzählt, bedeutete für die Betroffenen Entbehrungen, gar Verluste und schicksalhafte Zeiten. „Zumal die Schokker ihre eigene Identität hatten, nämlich einen eigenen Akzent, eigene Trachten und Tänze.“ Diese Vergangenheit pflegen die Nachkommen der Insulaner heute in der eigens 1985 gegründeten Schokkervereniging. Diese Entwicklungen bedeuteten aber auch neues Land und neue Möglichkeiten. Rund 70 Jahre nach Räumung der Insel war der Afsluitdijk fertig, der Wasserspiegel fiel, auch rund um die Insel mehr und mehr, die Polder schritt voran, bis sie 1942 Landfläche wurde. Nunmehr kam die Zeit der Land-  und Stadtplaner, der Architekten und Baugewerke in Flevoland.

Flusspferde in der Ijssel

Was Schokland speziell macht und UNESCO-Status brachte: Mit der Trockenlegung kam auch die Zeit der Archäologen etc.. Sie konnten den Ex-Meeresgrund nun zu Fuß durchstreifen, suchten ihn nach alten Zeugnissen von Entwicklung und Kultur der Bewohner ab, die schon vor 10.000 Jahren Schokland bewohnten, und über den Schiffsverkehr, der rund um die Insel unterwegs war, und fanden sogar noch ältere Spuren bis in die Eiszeit. Die Funde machten Schokland 1995 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Guide Nico: „Es gibt über 160 archäologische Fundstellen. Darunter die versteinerten Fußabdrücke, die in einstigem Lehm hinterlassen wurden. Eine Rarität. Sie wurden 1984 entdeckt.“

Heute Land, davor Meer, davor Land - davon zeugen Knochenfunde rund um die einstige Insel Schokland Foto Ulrike Wirtz
Heute Land, davor Meer, davor Land, davor Eis, davon zeugen Knochenfunde rund um die einstige Insel Schokland Foto Ulrike Wirtz

Oder das männliche Skelett von geschätzt 2400 A.C., von Archäologen eingebettet in eine nachempfundene Grabstelle. Der Boden setzte auch Erkenntnisse frei, dass vor rund 125.000 Jahren das Eis der damaligen Eiszeit vor Ort schmolz, dass es heißer wurde, der Wasserspiegel stieg und tropische Flora und Fauna bescherte mitsamt Elefanten, Nashörnern und in der Ijssel schwimmenden Flusspferden. „Das wissen wir durch Knochenfunde.“

Das Museum zeigt Bilder von der Landwerdung der Insel Foto der Fotos Ulrike Wirtz
Das Museum zeigt Bilder von der Landwerdung Foto der Fotos Ulrike Wirtz

Die Geschichte mit ihren Eis- und Heißzeiten kommt einem bekannt vor, die Infotafel Klimaatverandering im Musuem bringt verständlich den Evolutionsrhythmus der Erde in Erinnerung. Dann fällt der Blick auf ein reliefartiges Modell an der Museumswand, das die Landgewinnung der Niderlande über Jahrzehnte verdeutlicht. Aber das erklärt noch nicht, warum die Trockenlegung hier und das Feuchtgebiet südlich irgendwie zusammengehören.

Erst Land gewinnen, dann die Natur machen lassen

Dafür geht‘s zu den Oostvaardersplassen zurück – zu Hans-Erik Kuypers, dem Boswachter vom Staatsbosbeheer. Und mit ihm ins Jahr 1968. „Das Feuchtgebiet mit dem Naturentwicklungsgebiet ist ganz zufällig entstanden. Denn 1968 stellte sich heraus, dass trotz der Eindeichungen und der weiteren Anlagen zum Wassermanagement ein Gebiet im neu entstehenden Flevoland einfach nicht trocken fiel. Das war am tiefsten Punkt des Flevopolder.“ Eigentlich habe in dem Areal ein Industriegebiet entstehen sollen. „Dann wurde es erst einmal in Ruhe gelassen.“ So konnten sich Brachflächen von allein entwickeln, der Wasserpegel machte sie zum Feuchtgebiet mit Morast etc.

So also löst sich der vermeintliche Widerspruch auf – hier trocken, da nass. Bis die Grundlage der Oostvaardersplassen richtig stand, griff auch der Mensch noch ein, baute unter anderem fünf Jahre Raps an, um den Brachen den Salzgehalt als Relikte der alten Zuiderzee zu entziehen. Das hatte Geert erzählt. Auch sei später dafür gesorgt worden, dass sich Schilf ansiedeln konnte – „damit sich der neu gewonnene Boden stabilisiert. Das Schilf wurde aus Flugzeugen abgeworfen und setzte sich dann von selbst“. Hobby-Ornothologe Renè hatte erklärt, was Plassen bedeutet: „Im Kontext hier Pfütze oder Tümpel.“ Hatte dann gegriemelt und ergänzt: „Es bedeutet aber auch pinkeln.“

Oostvaardersplassen Aussicchts- und Wachturm Foto NBTC
Der Aussichts- und Wachturm für gute Einblicke Foto NBTC

Und dann die zwei aus Belgien angereisten Hobbyornithologen John und Stefan – sie hatten nur geschwärmt: „Hier in den Oostvaardersplassen entstand das schönste Vogelgebiet weit und breit und ist noch nicht fertig. Wir sind überall in Europa auf der Jagd nach Vögeln.“ Auch sie bewaffnet mit Spezialfernglas, noch dazu Kamera mit langem Teleobjektiv und angetroffen nahe Nordeingang am Buitencentrum Oostvaardersplassen. „Wir haben hier heute Morgen schon einen jungen Seeadler gesehen“. Der habe noch kein weißes Gefieder gehabt – „daran ist er gut zu erkennen“, so die Belgier. Und dürfte sicher zum Nachwuchs des Paares gehören, das im Süden Futter jagt.

Mehr Info und wichtige Websites

Zwei Besonderheiten finden sich in der niederländischen Provinz Flevoland im Osten der Binnenseen Ijsselmeer und Markermeer.

1. Die Oostvaardersplassen genießen den Sonderstatus Naturentwicklungs-Gebiet, liegen nahe Lelystad und Almere östlich von Ijsselmeer und Markermeer und gehören zum National Park Nieuw Land www.nationaalparknieuwland.nl Zu Natur und Naturmonumenten www.staatsbosbeheer.nl. Karten mit Wander- und Fahrradwegen www.ovpalmere.nl; www.visitflevoland.nl; www.holland.com

Lukullischer Tipp: Das Südtor zum Marschland nahe Almere markiert das Natuurbelevingcentrum de Oostvaarders mit Café und Restaurant; es ist geschmackvoll eingerichtet, hat gute Küche und 1a-Blick übers Naturschutzgebiet. Bei Lelystad ist das Nordtor am Buitencentrum Oostvaardersplassen.

2. Die einstige Insel Schokland lag in der östlichen Zuiderzee, wurde zum Festland und hat es zum UNESCO-Weltkulturerbe gebracht. Dazu gehörte ein Kampf ums pure Überleben. Von dem und anderem mehr erzählt das Museum Schokland www.museumschokland.nl; https://schokland.nl; www.visitnoordoostpolder.nl

Extratipp: das Waldmuseum Waterloopbos und die Wasser-Bollwerke

Man stelle sich die Zeit ohne Computer vor und wie damals Bauwerke entwickeln, durchplanen und testen. Das gilt gerade auch für die mächtigen Bollwerke gegen die Urgewalten des Meeres an den niederländischen Nordsee-Küsten, unter anderem die Deltawerke. Ingenieure schufen damals aufwendig Modelle, um reale Bedingungen zu simulieren und die angedachten Lösungen zu testen. Solche Anlagen sind heute noch zu bewundern – mitten in einem lauschigen Wald nahe Marknesse in Flevoland: der Waterloopbos. Allein dieses Deltagoot, das einem als erstes ins Auge fällt, wenn man den Park am sogenannten Proeflab Waterloopbos, dem Café und Restaurant, betritt.

Waterloopbos mit dem Deltagoot Foto Ulrike Wirtz
Das Deltagoot war Testanlage im Kampf gegen zerstörerische Fluten; heute ist es Teil eines Naturmonuments und als Kunstwerk namens Deltawerk auferstanden Foto Ulrike Wirtz

Das Deltagoot war als Versuchsanlage komplett unter Erdhügeln begraben, war 240 Meter lang, fünf Meter breit und sieben Meter tief. Wellen in Höhe von zwei bis zweieinhalb Meter konnten duch die Betonanlage gepeitscht werden, um die Sturmverhältnisse an der Oosterschelde zu simulieren und um so zu erarbeiten, welches Bauwerk robust genug dagegen war. Heute ruht hier still das Wasser.

Das ist der opulente Auftakt im Waterloopbos, der einst der Ort eines Freiluftlabors für High-Tech Wasserinfrastruktur war und heute den Status als Natuurmonument trägt, der idyllisch mitten im Wald liegt und zwar nahe Schokland. Das Monument und der Wald dazu stehen jedem offen und können allein erkundet werden. Oder es geht auf Tour mit Guides wie Hermann Schilt von der Organisation Natuurmonumenten. Der einstige Dozent führt zu den Anlagen, erklärt sie und weiß viel überdies zu Fauna und Flora im Bos zu erzählen. „Hier wurden die Häfen von Rotterdam nachgebaut und sogar die berühmten Deltawerke – in viel kleineren Maßstäben natürlich. Und seht hier das Moos. Im Bos wachsen mehr als 90 Moosarten und Hunderte Pilzarten.“

Das Freiluftlabor im jungen Polderland hatte die niederländische Regierung um 1951 einrichten lassen – auf 90 Hektar Land und ausgestattet mit einer Manpower von 300, 400 Ingenieur-Wissenschaftlern. Sie forschten und entwickelten Lösungen gegen Überflutungen und Erosion durchs Meer und bauten entsprechende Testmodelle für Wehre, Hafenanlagen und ähnliches mehr. Guide Hermann: „Ihr Know-how zu Wasserinfrastruktur war aber auch in der ganzen Welt gefragt. Wie auch noch heute. So bauten die Ingenieure unter anderem auch den Hafen von Bangkok um und simulierten ihr Konzept anhand eines Modells im heutigen Waterloopbos.“

Waterloopbos-Ingenieure bei der-Arbeit Foto vom Foto Ulrike WIrtz
Heute ist der Waterloopbos ein Naturmonument, früher war er ein Freiluftlabor; ein Foto von Ingenieuren bei der Arbeit Foto vom Foto Ulrike WIrtz

Es entstanden zudem Modelle für einen Hafen in Laos oder für Schleusenanlagen am Persischen Golf und sind heute als Zeitzeugen hoher Ingenieurskunst wie in einem Outdoor-Technikmuseum zu bewundern. Und dann kamen die Computer, die Simulationen erfolgten mithilfe von Software, die Modelle wurden nicht mehr gebraucht. Das Freiluftlabor im Wald schloss seine Pforten und ist nun als Ort einer spannenden Zeitreise wieder auferstanden.

Vom 13. bis 14. September ist Open Monumentendag in den Niederlanden – auch im Waterloopbos. Dann fahren manche Anlagen Tests wie zu ihren frühen Tagen. Details www.natuurmonumenten.nl

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Reise-Trips USA – Highlights 2026

Für das kommende Reisejahr stellen die USA alte und neue Attraktionen, echte Highlights für Trips in Aussicht. Hier einige Tipps gerade auch für internationale Touristen und jüngst präsentiert auf der Internationalen Reisemesse IPW im Juni in Chicago. Lebensart-Reise-Autorin Ulrike Wirtz war vor Ort in der Metropole mit ihren Wolkenkratzer-Ikonen, ihrer lukullischen Vielfalt und den berühmten Musik-Clubs für Jazz und Blues.

250. Geburtstag der einst wegweisenden Demokratie

Brand USA, die internationale Marketing-Organisation der Nation, hat eine neue Website mit neuesten Informationen zu Attraktionen und Aktivitäten in den USA veröffentlicht. Diese widmet sich unter dem Motto „America the Beautiful“ vor allem auch dem Jubiläum „250 Jahre Vereinigte Staaten von Amerika“ am 4. Juli 2026. Der 250. Geburtstag erinnert an den 4. Juli 1776, den Tag, an dem die USA ihre Unabhängigkeit von Großbritannien erklärte und in der „Declaration of Independence“ niederlegte. Das war der Startschuss der ersten modernen Demokratie, die zum großen Vorbild für andere Nationen wurde – mit aktuell schwerem Stand unter ihrem  47. US-Präsidenten Donald Trump. https://americathebeautiful.com/de/America-250/

Stars und Stripes Flagge der USA
Lange Symbol für Freiheit und unbegrenzte Möglichkeiten – die Stars und Stripes-Flagge der USA

Neues Theodore-Roosevelt-Museum in North Dakota

Einem früheren US-Präsidenten wird 2026 eine besondere persönliche Anerkennung zu teil und bringt einen neuen Anziehungspunkt in den Bundesstaat North Dakota, das Land der Wildnis an der Grenze zu Kanada. North Dakota steht für geschwungene Hügel in Grün-Beige und für Regionen bizarrer Bodenerosion, steht für Prärien, Ranches, Wiesen und Felder, für Longhorn-Rinder und Bisons, wilde Mustangs und Kojoten. Beim Präsidenten handelt es sich um Theodore „Teddy“ Roosevelt, von 1901 bis 1909 US-Präsident, geführt als Nummer 26 und 1906 der erste Amerikaner, der mit dem Friedens-Nobelpreis geehrt wurde.

Präsident Theodore Roosevelt bei der Arbeit Foto Harvard-Library Collection
US-Präsident Theodore Roosevelt – ein großer Staatsmann Foto Harvard Library Collection

Etliche Jahre später stand er erneut für ein honoriges erstes Mal: Der 1978 begründete Nationalpark in den kargen Badlands im westlichen North Dakota wurde nach Theodore Roosevelt benannt. Damit erhielt erstmals ein Nationalpark den Namen eines Präsidenten der Nation.

Nun entsteht in direkter Nachbarschaft zu diesem Nationalpark die offizielle Präsidentenbibliothek zu Ehren des 26. Staatsoberhaupts – inmitten der Natur nahe dem Städtchen Medora – und soll am 4. Juli nächsten Jahres feierlich eröffnet werden. Sie heißt Theodore Roosevelt Presidential Library, kurz TRPL. Warum aber hier im Outback nahe Kanada? Denn als Staatsmann hatte der Republikaner in Washington gewirkt, sein Leben, auch beruflich, vor und nach seiner Präsidentschaft fand oft in New York statt, wo Theodore Roosevelt 1858 das Licht der Welt erblickte und 1919 starb, nahe New York im Ort Oyster Bay auf Long Island.

Allerdings zog es den Kaufmann, Soldaten und Politiker immer wieder auch ins abgeschiedene North Dakota. Erstmals kam er 1883 her. Hier legte sich Theodore Roosevelt eine Ranch zu, hier lebte er auch länger, arbeitete selbst als Cowboy und ging auf die Jagd. Hierher kam er immer wieder zurück, widmete sich auch der Naturkunde und dem Naturschutz und rundete dieses Faible durch seine Expeditionen nach Afrika und an den Amazonas ab.

Theodore Roosevelt als Rancher in den Badlands von North Dakota Foto Harvard_Library_Collection
In den Badlands von North Dakota war Theodore Roosevelt Rancher Foto Harvard Library Collection

Daher nennt man „Teddy“ im wilden Staat im Nordwesten gern auch Outdoor-Man. Er, der die Natur liebte, erforschte und schützte, gründete allein in seiner Präsidentschaft fünf Nationalparks, 51 Wildlife Refuges und den US-Forrest Service mit mehr als hundert National Forrests.

Die zu Ehren des Naturfreunds entstehende offizielle Präsidentenbibliothek gilt als beispielhaft für nachhaltige Architektur und High-Tech bei der technischen Ausstattung, auch der Exponate. Noch ist viel Baustelle, die Baufortschritte vermittelt die TRPL mit Blog und Bildern. Das Konzept ist klar definiert: die Bibliothek selbstversorgend und regenerativ zu errichten, vergleichbar zu den Zeiten, als Theodore Roosevelt in den 1880er Jahren erstmals in die Wildnis der Badlands reiste und sich ein autarkes Leben einrichten musste.

Theodore Roosevelt Presidential Library in North Dakota#s Outback Foto Pomp
Hier in den Badlands findet die Theodore Roosevelt Presidential Library ihren Platz Foto Plomp

Schon optisch nimmt die Bibliothek die Natur in ihren Farben und Formen auf: durch ihr Äußeres aus Naturholz in Blass-Beige, passend zum typischen Beige-Grün der Badlands; durch das flache geschwungene Dach, dessen Flächen mit kurzem Gras überwachsen sein werden wie die Prärie. Spaziergänge draußen lassen sich dann übergangslos übers Dach fortsetzen. Innen setzt sich die Optik aus Holz fort. Bei der Ausstattung lässt einen neuester technischer Stand in Teddy Roosevelt’s Leben eintauchen: ob per Interaktion oder modernster Sensortechnik. HInzu kommt klassisches Story-Telling mit Fotos und Videos.

„Immerse yourself in the Arena“ lautet eine Aufforderung des TRPL – tauch ein in die Arena. So ermöglicht Interaktion im selbsternannten „museum of the future“, etwa am Leben des Soldaten Theodore Roosevelt teilzuhaben,seinen Gesprächen an Lagerfeuern zu lauschen oder sein Regieren von New York bis Washington zu verfolgen. Man kann sich einlesen in seine Grundsätze zu „Leadership, Citizenship and Conservation“ – zeitlose Themen mit immer aktuellem Bezug, so das Credo der TRPL.

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Nachhaltig und naturverbunden fügt sich die Theodore Roosevelt Presidential Library in North Dakota’s Flora und Fauna ein Foto Plomp

Dem Leben Roosevelt’s als Outdoor-Man lässt sich schon jetzt draußen im nach ihm benannten Nationalpark nachspüren. Hier stehen an den Ufern des Little Missouri River noch die Reste seiner alten Elkhorn Ranch und sind zu besichtigen. Außerdem wird es im Park althergebrachte Pflanzen wieder verstärkt geben, auch das ein nachhaltiges Anliegen des neuen Bibliothek-Projekts. Es manifestiert sich im Native Plant Project in Zusammenarbeit mit der North Dakota State University (NDSU) und der Resource Environmental Solutions (RES). Das Projekt sieht vor, ursprüngliche Pflanzen bzw. bedrohte Arten im weiten Umfeld des Museums wieder auszubauen. Das würde Naturbewahrer Theodore Roosevelt sehr gefallen.

Route 66 – 2026 ist die legendäre Straße 100 Jahre alt

Die Bilder aus dem Hollywood-Klassiker „Easy Rider“ bringen es noch heute auf den Punkt: das Gefühl von Freiheit, von einem grenzenlosen PS-Ritt und Einkehrschwüngen am Weg in einfachen Diners und Motels. Ein Trip über die heute legendäre Route 66 galt anfangs aber und das für lange Zeit als ein Versprechen der Bewegungsfreiheit, als Weg in eine bessere Zukunft für viele, die sich auf die lange Strecke machten – von anfangs 2451 Meilen, sprich knapp 3950 Kilometer. Daher bekam die Route 66 auch den liebevollen Namen „Mother Road“.

Konkret fängt sie an in Chicago im US-Staat Illinois, in Downtown am Wolkenkratzer Willis Tower, eine der Architektur-Ikonen am Chicago River. Und endet am Pier in Santa Monica, California, direkt vor den Weiten des Pazifiks. Und das Ganze auch in umgekehrter Richtung. Durch einige Umbauten in ihren 100 Lebensjahren ist der alte Verlauf an wenigen Stellen verändert, die Streckenlänge auf 2278 Meilen reduziert.

Route 66 Pier Santa Monica_Calif Foto Ulrike Wirtz
Am Vergnügungspark am Santa Monica Pier startet bzw. endet die fast 4000 Kilometer lange 66 Foto Ulrike Wirtz

Aber nicht der Rede wert. Die Mutter aller Straßen führt auf ihrem Verlauf durch acht US-Staaten, neben California ganz im Westen und Illinois ganz im Osten auch durch Missouri, Kansas, Oklahoma, Texas, New Mexiko und Arizona – in der Reihenfolge von Osten kommend.

Als Mother Road galt sie, nachdem anno 1926 für den Verkehr freigegeben, weil die Route 66 erst die zweite durchgehend befestigte Straße als Ost-West-Verbindung war. Das machte die Trasse so bedeutsam fürs praktische Leben in den Weiten des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten. Als zunehmend das Straßennetz ausgebaut wurde, kamen schnellere Highways hinzu. Und so fuhren bei den Road-Trips auf der Route 66 auch mehr Fun-Faktoren mit dem Hauch von Abenteuer mit, wenn Autofahrer sich damals noch in Olds-Mobiles auf den Weg machten. Das galt ebenso für Trips per Motorrad und Roadies in Wohnmobilen, die verstärkt just for fun über die Mother Road brummten.

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Just for Fun an der Route 66 in Collinsville/Illinois – das Catsup Monument Foto Ulrike Wirtz

Nach wie vor steht die Route 66 für das Gefühl der Freiheit und für eine gehörige Portion Nostalgie, nicht nur wenn sie im nächsten Jahr ihren 100. Geburtstag begeht. Ihr Centennial, wie Einheimische sagen, wird entlang der Route gefeiert mit Festivitäten, Memorabilien etc. Doch schon bisher sorgen original Altes und auf alt Gemachtes fürs althergebrachte Flair am Weg: Straßenschilder wie zum Beispiel das Route-66-Schild am Pier in Santa Monica/California; Neon-Leuchtreklamen von Motels wie etwa das vom A. Lincoln Motel in Springfield/Illinois; oder ein alter haushoher Wasserturm in Collinsville/Illinois, der an eine Ketchup-Flasche erinnert, mit dem Werbetext „Catsup“, wie sich die Tomatensauce früher auch schrieb. Alles Retro oder Retro gestylt.

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Retro-Leuchtreklame ist typisch allerorten an der Route 66, in Texas etwa die für die Big Texan Steak Ranch

Unterwegs wartet überdies Abwechslung in Form von Naturhighlights wie den Meramec Caverns, die alten Tropfsteinhöhlen nahe Sullivan/Missouri oder in Form von Music Venues in St. Louis/Missouri oder das im September 1949 eröffnete, fast noch original erhaltene Drive-In-Theatre im Ort Carthage/Missouri, der sich im Herbst seiner rot gefärbten Ahornbäume und seines dazugehöriges Maple-Leaf-Festivals rühmt.

Texas‘ Teil der Route 66 ist nur kurz, ähnlich dem in Oklahoma und Kansas – hier den Pit-Stopp original von 1925, den Nelson’s Old Riverton Store, nicht verpassen -, und bietet mit dem Mid Point Café in Adrian/Texas einen traditionellen Kaffee-Stopp quasi auf der Hälfte der Route-66-Strecke. In New Mexico kreuzt man durchs Land der First Nations der Comanche und Tucumcari. In Arizona‘s Weiten warten Kakteen, Kargheit und der Grand Canyon im Westen. Hier tut sich auch bei den Temperaturen buchstäblich Wüstenei auf vor dem ikonischen Panorama karger Bergketten nicht nur am steilen Bergpass nahe Golden Valley.

Kultiges begrüßt Biker und andere Roadies natürlich auch im Staat California, der sich an Arizona anschließt. Allein der lange Abschnitt immer entlang der Wüste des Joshua Tree National Park mit seinen bizarren Bäumen. Bis am Ende hinter dem Pier in Santa Monica der Pazifik schimmert.

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Unterwegs durch Abenteuer-Land Foto Eaglerider-Route-66-Motorcycle-Tour

Mehr Info: https://www.route66centennial.org. Spezialist America Unlimited organisiert ab deutschen Landen Motorradreisen als Gruppenreise oder für Selbstfahrer entlang der Route 66 und bietet unterschiedliche Varianten der Strecke an, auch die ganz lange von Ost ganz nach West. Autoreisen etc. gibt es hier auch zu buchen www. https://www.america-unlimited.de. Ebenfalls ab Deutschland operiert Nordamerika-Spezialist Canusa, ohne Motorradreisen, https://www.canusa.de. Tipps für Roadtrips auch auf der oben genannten Website von Brand USA https://americathebeautiful.com/de/road-trips/

New York City betont seinen Charakter als Luxusziel 

In der Mega-Metropole erreichen die Zimmerpreise für eine Nacht inzwischen spielend 1000 Dollar ($), selbst wenn nicht Créme de la Créme unter den Fünfsternehotels. Diese gehen derweil schon auf 1500, 2000 $ die Nacht. Kein Pappenstiel, selbst wenn der Wechselkurs der US-Währung zum Euro aktuell sehr attraktiv ist. New York City steht gern dazu, eine Vielzahl sehr gut situierter Reisender anzuziehen und betont diesen Status künftig sogar noch mehr, nämlich mit einem speziellen NYC Luxury Guide bzw. einer eigenen Rubrik „NYC Luxury“ auf seiner Website. Hier präsentiert die Stadt, die niemals schläft, „ikonische Hotels, Restaurants mit Michelin-Rating und exklusive Ateliers“ – nach dem Motto: „Entdecken Sie die schönen Dinge in NYC“.

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Weltberühmt und weiterhin gratis zu bewundern – die Skyline von NYC

Aber keine Angst: Zu den Attraktionen zählen nach wie vor auch all die Highlights, die sich Reisende mit normalem Budget leisten wollen und können; auch die finden sich weiterhin auf der Website der Mega-City. Und natürlich gibt es noch Hotels für 200 $ die Nacht. Aber die Gruppe der „Affluent Travelers“, der Wohlhabenden also, hat es in sich.

Sie kommt laut offiziellen Daten aus den folgenden Staaten: United Kingdom (UK), Deutschland, Frankreich, Italien, Australien, Süd-Korea, Brasilien, Indien, Schweiz und Irland. Genau in der Reihenfolge, erhoben nach Anzahl der Reisenden, mit UK an 1. und Irland an 10. Stelle. Julie Coker, President und CEO des New York City Tourism + Conventions, stellte Auswertungen und Zielsetzung „Luxus“ auf der IPW 2025 in Chicago im Juni vor. Sie betonte, dass die Stadt im Jahr 2024 allein 10,7 Mio. Affluent Travelers willkommen hieß, macht über zwei Mio. dieser Besucher mehr als noch 2019, vor dem Einbruch durch Covid-19.

Und dass die Gruppe dieser Wohlhabenden zwar nur 17 Prozent der Gesamtzahl der Besuche ausmacht, dafür aber drei Mal mehr „impact“, also wirtschaftliche Effekte, bringt als der Rest der Besucher. Darauf setzt die Stadt künftig verstärkt. Daher führt die offizielle Touristik-Website von New York City nun eigens Luxus-Rubriken an, wie ein Blick auf die bereits angepasste Website zeigt.

NYC-Präsentation IPW 2025 Foto Ulrike Wirtz
NYC-Präsentation auf der IPW 2025 durch Julie Coker, President & CEO der Touristik-Organisation New York City Tourism + Conventions Foto Ulrike Wirtz

Diese neuen Rubriken widmen sich Luxury Spas wie dem im Premiumhotel Mandarin Oriental, widmen sich Luxury Boutiquen wie der von Alexander Wang und natürlich Luxury Hotels von The Pierre bis zum just wieder eröffneten Waldorf Astoria: das legendäre Haus, das 1897 aus den zwei nebeneinander liegenden Luxushotels Astoria und Waldorf entstand, nunmehr verbunden durch die berühmte Peacock Alley.

Die Hotel-Ikone war von 2017 bis jetzt wegen Restaurierung, Renovierung, Sanierung und Modernisierung geschlossen. Was in der Zeit im prächtigen Gebäude in Art Deko-Architektur vonstattenging, spiegelt sich allein in folgender Zahl wider: Die Anzahl der Zimmer wurde von einst 1413 auf 375 reduziert, dieser Rest extrem vergrößert und vom Feinsten ausstaffiert.

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Was für ein Luxus im Waldorf-Astoria New York, hier die Lobby nach Sanierung Credit-Waldorf-Astoria-New-York©2025-Hilton

Die Zimmerpreise sind entsprechend hoch: Eine Nacht für zwei kostet bei Booking.com aktuell 1856 $ – für einen Wochentag in der ersten September-Woche. Auf der Website des Waldorf Astoria kostet die gleiche Buchung aktuell nicht unter 2090 $ fürs gleiche Datum im September. Kein Thema für die Happy Few: Man gönnt sich ja auch sonst viel in New York City.

Mehr Info unter https://www.nyctourism.com/de/

Nevadas Wüste mit Bergpanorama

Nevadas Süden – Wilde Blüten der Wüste

Hitze, Trockenheit, Staub ist Dauerzustand in der Mojave Wüste Nevadas. Immer hat sie auch ihre Extreme und Phänomene, selbst außerirdische. Im Frühjahr fügt die Natur sogar Blühendes hinzu, falls das Wetter zuvor passte. Ein Road-Trip durch Süd-Nevada: ab Las Vegas über Death Valley via Extraterrestrial Highway retour nach Las Vegas – auf 650 Meilen, gut 1.000 Kilometer.

Sie scheint einen anzusehen, einem zuzurufen: Schau her, wie hübsch violett-pink ich bin. Wie schön ich blühe und andere Wildblumen das auch tun. So schön wie lange nicht mehr. Gemeint ist im April 2024 die Super-Bloom – ein regelrechtes Ereignis nach einiger Zeit mit besonderer Dürre in der Mojave in Süd-Nevada. 2025 fehlt wieder mal das Super bei der Bloom. Die Pflanze mit der Blüte in violett-pink heißt botanisch Opuntia Basilaris, gehört zur Familie der Kakteen und steht in ihrer Pracht im April 2024 am Straßenrand irgendwo im Red Rock Canyon 30 Kilometer westlich von Las Vegas.

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Meint das Wetter es gut, blüht die Mojave im Frühjahr Foto Ulrike Wirtz

Der Red Rock Canyon wiederum gehört zur Mojave – dieser Wüstenei auf über einhunderttausend Quadratkilometer. Sie liegt größtenteils im Staat Nevada, der bildet fast die Mitte, und in Kalifornien, Nevadas westlichem Nachbarstaat. Östlich von Nevada reichen die Ausläufer der Mojave bis Arizona und Utah. Die Wüste im Südwesten definieren hohe Berge ebenso wie tiefe Senken, die tiefste das Badwater Basin im Death Valley und der tiefste Punkt der USA und fast weltweit. Die rote Schlucht ist das erste Ziel des Desert-Road-Trips. Unser Guide ist Charlie von Bindlestiff-Tours in Las Vegas.

Verlauf des Trips: Start in Las Vegas gen Süd-West via IS 15 South (S) + dann NV 159 West (W) zum Red Rock Canyon + dann NV 160 nach Pahrump, über Nacht im Pahrump Nugget Hotel & Casino + am nächsten Morgen NV 160 W über die Grenze nach Kalifornien, weiter CA 127 bis Death Valley Junction mit Amargosa Opernhaus + weiter CA 190 W ins Death Valley nach Furnace Creek und Bad Water Basin + aus dem Todes-Tal CA 190 E, NV 374 N nach Beatty, über Nacht im Stage Coach Hotel & Casino + morgens weiter NV 374 N zur Rhyolite Ghost Town + danach US 95 N zum International Car Forrest of the Last Church + weiter US 95 N bis Tonopah, über Nacht im Mizpah Hotel + morgens NV 375, auch Extraterrestrial HW genannt, via Rachel an Nellis Militärbasis und Area 51 vorbei + weiter NV 93 E bis retour in Las Vegas

Hier im Red Rock Canyon blüht die Opuntia Basilaris einfach prächtig. Das hat zwei Reisende dazu verführt, sich sogar in den Staub zu werfen, um die Knospe Instagram-tauglich abzulichten. „Die sieht man hier nicht alle Tage“, so eine der Fotografierenden. Stimmt, sage ich, habe solche Pracht bei früheren Besuchen im Frühjahr auch nicht erlebt und werfe mich zum Fotografieren daneben. „Ihr Glücklichen. Unsere Wüste hat dieses Frühjahr wirklich eine Super-Bloom“, hatte Guide Charlie das besondere Glück schon beim Start in Las Vegas angekündigt.

Achtung Klapperschnlagen -Rattlesnakes Foto Ulrike Wirtz 9964.
Das Schild ist alt, der Hinweis immer aktuell In der Mojave – Achtung Rattlesnakes, sprich Klapperschlangen Foto Ulrike Wirtz

Sein besonderer Hinweis fürs Verhalten in der Wüste: „Wer zu Fuß geht, gerade abseits des Asphalts, bitte nur in festem Schuhwerk und langer Hose. Es gibt Schlangen, gar Klapperschlangen, Lizards und Stechkakteen. Die Wüste lebt.“ Und jeder solle immer Wasser dabei haben und viel trinken. Das gesagte gilt für die ganze Zeit on the road, selbst im April, wenn die Hitze noch nicht so gnadenlos ist wie in den Sommermonaten.

Immer präsente Extreme der Natur

Charlie kennt die Mojave von vielen Touren, hat schon Jahre ohne üppige Bloom erlebt und ist daher selbst begeistert. „Die Wüste blüht. Und keiner weiß, ob sie es nächstes Jahr wieder tut.“ Heuer also beschert sie am Weg immer wieder auch die Desert Sunflower (lateinisch Geraea Canescens) als gelb leuchtende Blütenteppiche und die lila schimmernde Büschelblume (Phacelia Calthifolia). Alles Wildblumen und alle hier heimisch.

Gelbe Blüten in der Mojave Foto Ulrike Wirtz
So beglückt die blühende Desert Sunflower die Mojave und ihre Besucher Foto Ulrike Wirtz

Aber was, wenn die Super-Bloom der Wildblumen ausbleibt bzw. Hochsommer, Herbst und Winter kommen? Dann übernehmen die Extreme von Kargheit, vom Leben mit Hitze, Staub und Trockenheit in der Mojave die Regie und üben ihre Faszination aus. Hinzu kommen von Menschenhand erzeugte „Blüten“ – künstlerische, bisweilen gar seltsame. Das alles versammelt sich auf gut 1.000 Kilometer Fahrtstrecke und lohnt immer den Trip durch die Welt der Mojave.

Die Mojave wurde durch Hochgebrige im Westen zur Regenschatten-Wüste Foto Ulrike Wirtz

Die Dessert zeigt – kaum raus Las Vegas mitsamt Randbezirken – ihre geologische Seite: als Ansammlung von Gestein, Geröll und Sand. Überall Sand wie in der Sahara gibt es dagegen nicht, wohl einige Kilomter Dünen in Death Valley. Farblich dominieren Grau-Braun-Töne. Geografisch ist die Mojave sichtlich ein Tal, durchzogen von Bergzonen von bis zu 1.500 Meter und mehr. Gen West-Nordwest fällt das Auge auf sogar hochalpine Bergketten mitsamt Sierra Nevada – mit bis zu 4.000 Meter hohen Gipfeln wie dem Telescope Peak, mit Schnee auf ihren Kuppen das ganze Jahr. Diese imposante Kulisse kommt während des Trips immer wieder ins Bild.

Regenschatten-Wüste durch das Hochgebirge

Die hohen Gipfel in West-Nordwest jedoch sind auch der Grund, dass vor Jahr Millionen dieses Areal von mehr als einhunderttausend Quadratkilometer zur Wüste wurde. Diese Bergketten nämlich halten die Wolken davon ab, ihr Nass auf die Flächen auf den anderen Bergseiten, den östlichen, bis hinunter in die Täler zu ergießen. Sie bilden einen Regenschatten, wie Fachleute sagen, der ließ die sogenannte Regenschatten-Wüste der Mojave entstehen. Und aus Nevada wurde so der trockenste Staat der USA. In Sachen Hitze hält die Mojave sogar den offiziellen Weltrekord in ihrem Death Valley, das bei fließenden Staatsgrenzen auf kalifornischer Seite liegt: Das Todes-Tal ist Rekordhalter als heißester Punkt der Erde mit 134 Grad Fahrenheit (F) gleich 56,7 Grad Celsius (C).

Offiziell gemessen am 10 Juli 1913 nahe Furnace Creek am Badwater Basin und seither nicht mehr überboten, nirgendwo auf Erden. Am Badwater Basin ist überdies der tiefste Punkt der USA mit 282 Feet gleich 85,5 Meter unter dem Meerespiegel. Alles noch Ziele des Trips, aber erst später. Noch liegt die erste Etappe an, mit mehr Fragen auch zu Wetter und Klima.

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In Death Valley sind 99 Grad Fahrenheit gleich 37 Grad Celsius im Schatten erträglich und an der Tagesordnung Foto Ulrike Wirtz

Was den Niederschlag angeht, der fällt in der Mojave von Dezember bis März, April, so die Wetterstatistiken. Was üblicherweise für die Frühjahrsblüte reicht. Zudem gibt es Sommergewitter mit heftigem Regen, selbst im Badwater Basin. Im ganzen Jahr allerdings fallen laut Statistiken im Durchschnitt nur gerade mal 123 Millimeter wegen des Regenschattens. Also keinesfalls genug. Da nutzen auch kühlere Winter in den Hochlagen der Mojave nichts oder die Abkühlung über Nacht. Während man sich das unterwegs klarmacht, erscheint einem Las Vegas – kaum raus aus der Stadt – wie eine Illusion, geschaffen in einer der dortigen Shows.

Außerhalb von Las Vegas herrscht die Wüste in dem ihr eigenen Aggregatzustand. Wer nur Zeit für einen Tagestrip von Las Vegas aus hat: Zum Red Rock Canyon sind es 30 Kilometer. Die Besucher sind per Auto, Motorrad oder Fahrrad unterwegs, auch in organisierten Gruppen. Das GPS zeigt: Durch die Mojave führen nur wenige Asphaltstraßen, und viele unbefestigte Pisten und sind nur etwas mit Allrad, falls das Befahren überhaupt erlaubt ist. Schilder beachten.

Mit jedem gefahrenen Kilometer keimt mehr und mehr die Erkenntnis wie die Blüten im Frühjahr auf, was sich Las Vegas mitten in der Mojave 24/7 leistet: Glücksspiel, Show und seit kurzem Formel-1-Events. Plus alles an Touristik-Infrastruktur, Blumenrabatte und Rasengrün inklusive. Dazu gehört wie selbstverständlich, dass nicht nur die Hotelduschen genügend Wasser führen, sondern die Pools ebenso. Desgleichen bei den Häusern und Wohnungen einer wachsenden Einwohnerzahl; darunter langjährige Bürger wie die Tennisstars Steffi Graf und Andre Agassi.

Viel Wasser für Vegas

Den Bedarf am lebensnotwendigen Nass füttern der Colorado-River und weitere Flüsse, bringen es aus der Ferne heran. Überdies kommt Nachschub durch die Schneeschmelze im Frühjahr im nahen Hochgebirge. Dann füllt das Schmelzwasser die Flüsse bzw. unterirdischen Reserven tief im Boden auf, die auch zur Wasserversorgung angezapft werden. Trotzdem ist und bleibt Wasser rar in der Mojave. Allein es zu managen ist eine Wissenschaft für sich. Und die Verteilung der raren Ressource unter den Wüsten-Staaten und Fluss-Anrainern, ihren Countys, Städten und nicht zuletzt den Militärbasen in der Mojave gilt als hochkomplex und hochpolitisch.

Wuesten-Kenner on the road Foto ULrike Wirtz
Kenner haben alles mit, denn die nächste Tankstelle ist auch mal fast 100 Kilometer entfernt Foto Ulrike Wirtz

Mit dem Bild vor Augen keimt nicht zuletzt das Verstehen auf, dass die Frühjahrsblüte der Wild Flowers oder gar ihre Super-Bloom 2024 nicht immer garantiert sind. Was einen aber immer an Wüsten-Flora begleitet, ist ihre Grundausstattung: Büsche, Kakteen, ein, zwei Meter hohe Pflanzen, die an Yuccas erinnern, und fünf, zehn Meter hohe Bäume, die in ihrer Form von weitem grob an Kreuze erinnern, aber aus der Nähe wie zerzauste Gesellen wirken.

Sie rauschen auf dem Weg in den Red Rock Canyon und überall später auf dem Trip am Autofenster vorbei wie ausgemergelte Kreaturen – fremd, dennoch von dieser Erde und sehenswert. Was genau das alles ist, erzählen Infotafeln an Haltebuchten entlang der Straße durch die rote Schlucht: die Büsche der Desert Scrub, der Prickle Pear Cactuse, die Mojave Yucca und der an ein Kreuz erinnernde Joshua Tree, auch er Teil der Yucca-Familie. Auch heißt es, dass Joshua Trees 100 Jahre und älter werden.

Bizarre Gewächse, bizarre Vorstellungen

Und das obschon die Wüste ihrer Flora über deren Lebensdauer immer wieder extreme Genügsamkeit abverlangt. „Wir haben immer auch Dürrejahre wie zuletzt“, weiß Guide Charlie. „Die lassen sogar Lake Mead austrocknen.“ Der See ist US-weit der größte Stausee, hegt den Colorado River durch den Hoover Dam ein, dient für Millionen Menschen von Arizona über Nevada bis Kalifornien als Wasserreservoir. Bis 2022 herrschte sogar so viel Dürre, dass im See mit immer niedriger werdendem Wasserstand Überreste aller Art freigelegt wurden, selbst von Toten, die schon jahrzehntelang vermisst wurden. Welch eine bizarre Vorstellung.

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Red Rock Canyon ist rot vom Eisengehalt im Sand, der hier vor Jahrmillionen lag – bis er zu Fels wurde Foto Ulrike Wirtz

Nun aber volle Aufmerksamkeit auf den Red Rock Canyon. Seine rostige Färbung hat seinem Namen schon von weitem alle Ehre gemacht. Aus der Nähe wechselt das Gestein sein Farbkleid in hell- bis dunkelrote Nuancen. Das Rot kommt vom hohen Eisengehalt in den Felsen, so die Infotafel. Zu lesen steht hier auch, dass vor 180 Millionen Jahren im Gebiet riesige Sanddünen waren. Die verwandelten sich im Lauf der Zeit durch das Klima zu Stein, hatten zuvor in quasi jedem Sandkorn Eisenmineral angereichert und färbten auch das Gestein rot. Klettern in den Felswänden der Schlucht ist erlaubt, auch wenn das Gebiet als Red Rock Canyon National Conservation Area besonders geschützt ist.

Etliche Kletterer haben sich denn auch auf den Weg gemacht – Mittagshitze hin oder her. Zu einladend sind die rundlichen Formen der Felsen. Wirklich bequem ist der Weg zum höchsten Punkt der Schlucht nur per Auto über Asphalt, mündet auf 4.780 Feet gleich rund 1.500 Meter am Outlook und wird mit 1a-Aussicht belohnt. Der Platz ist laut Road-Map als High Point Overlook markiert und praktisch nicht zu verfehlen. Von hier geht es weiter, geht erst wieder hinab und wieder hinauf und bald aus der roten Schlucht heraus.

Ranch einst in deutscher Frauenhand

Läge am Weg zuvor nicht noch die Spring Mountain Ranch mit ihren üppig grün belaubten Bäumen und gepflegten Gebäuden und mit ihrer schillernden Vergangenheit. Sie ist keine Working Ranch mehr, steht zur Besichtigung offen und ist seit 1974 Teil des Spring Mountain Ranch State Park mit Wanderwegen, Naturkunde-Kursen und Konzerten. Weitere Highlights sind ihre alte Schmiede und das einstige Wohnhaus mit dem Mobiliar von anno dazumal; hier ist auch ein Shop, um Kurse und Exkursionen zu buchen und Eintrittskarten zu kaufen. Die Ranch liegt auf einer Anhöhe, empfängt daher ihre Besucher mit einem um vier, fünf Grad angenehm kühleren Klima, als es in der Ebene und in Las Vegas herrscht.

Überdies ist und war die Spring Mountain Ranch eine echte Oase im Outback, da sie über eine Wasserquelle verfügt. Daher ihr Name, daher die üppig grünen Bäume. Daher auch die Historie des Areals mitsamt später errichteter Spring Mountain Ranch: Den Platz nutzten erst die Indianer der Mojave, bis man sie vom Land vertrieb. Dann diente er Gaunern als Rückzugsort mit Bergkühle und Wasserversorgung. Danach kamen und blieben Soldaten aus gleichen Gründen. Um 1870 begründete dann ein Sergeant am Ort eine Rinder-Ranch und baute 1876 das Haus zur Ranch aus Holz und Sandstein, das noch heute existiert und eines der ältesten Gebäude in Nevada ist.

Spring Mountain Ranch Vera Krupp Foto Ulrike Wirtz
Erst Ort der Indianer, dann von Gaunern, Siedlern, später in deutscher Hand und nun National Park – die Spring Mountain Ranch und ihr Land Foto Ulrike Wirtz

Geradezu illuster, speziell auch für Kineasten, wurden die 1950/1960 Jahre, nämlich wegen der Eigentümer der Ranch. Sie gehörte von 1967 bis 1972 Flugzeugbauer und Millionär Howard Hughes, der laut Park-Ranger David Lows Erzählungen selbst nie vor Ort kam. Vorherige Eigentümerin war die Deutsche Vera Krupp – von 1955 bis 1967. Bilder und Texte im Haus klären über ihr Leben auf.

Wie ein Drehbuch über eine High-Society-Ladyund der Krupp-Diamant

Vera Krupp war einige Zeit Schauspielerin, lebte eine Zeitlang in den USA und heiratete 1952 Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, den Millionen schweren Eigentümer der deutschen Stahlschmiede Krupp im Ruhrgebiet. Als das Paar 1957 geschieden wurde, kaufte Vera die Ranch, nannte sie um in Spring Mountain Ranch und lebte hier bis 1967. Schlagzeilen sollten sie bis in die Mojave von Nevada begleiten. Schon dass Vera Krupp, die einstige High-Society-Lady, selbst auf der Ranch mitarbeitete und selbst hoch zu Ross mit den Cowboys sogar Rinder trieb. Schon dass sie sich als Special Deputy des Sheriffs im Clark County, in dem ihre Ranch lag, betätigte und sich mit Revolver im Halfter abbilden ließ.

Vera Krupp - Exgattin-des Industriellen Krupp-Foto vom Foto Ulrike Wirtz 9322
Vera Krupp heiratete den Industriellen Alfred Krupp, später hatte sie ein Ranch in der Mojave von Nevada Foto vom Foto Ulrike Wirtz

Und dann noch folgende Räuberpistole, die ein Drehbuch nicht besser hätte erfinden können. Gatte Alfried hatte Gattin Vera einen Ring mit dem berühmten Krupp-Diamanten von gut 33 Karat geschenkt. Den trug sie später selbst bei der Ranch-Arbeit, enthüllte ein Polizeibericht. Solch ein Bericht wurde nötig, weil Diebe das Schmuckstück stahlen. Sie überfielen Vera Krupp, als sie nach getaner Arbeit mit dem Vorarbeiter beim Abendbrot saß, und zogen ihr laut Polizei den Ring mit Gewalt vom Finger. Sogar das FBI wurde eingeschaltet, der Ring samt Diamant wieder gefunden und ein Jahr nach ihrem Tod 1967 versteigert. Wer ihn kaufte: Schauspielstar Richard Burton für seine Angetraute, die Filmdiva Elisabeth Taylor, die sich mit dem Diamanten auch in Filmen schmückte.

Gewehr-Regal der  früheren  Hausherrin Vera Krupp  Foto Ulrike Wirtz
Angeblich das Gewehr-Arsenal von Vera Krupp, die auch Deputy Sheriff war Foto Ulrike Wirtz

Generatoren versorgten damals die Ranch mit Strom, waren aber leer, als der Überfall stattfand. Daher fiel auch das Telefon aus. Die bestohlene Vera fuhr daher 30 Kilometer über Stock und Stein bei Nacht nach Las Vegas, um die Polizei anrufen zu können. Die Ranch könnte einem heute noch als Refugium gefallen. Jedenfalls würde der große Kamin im Ranch-Haus in Winternächten heizen wie ein Lagerfeuer. Dank Stromversorgung über Leitungen sorgt heute eine Klimaanlage im Sommer für angenehme Kühle drinnen. Aber nachts wäre es nach wie vor sehr einsam mitten in der Mojave.

Seit Jahrzehnten ziehen sich moderne Stromleitungen durch die Wüste. Die Kommunikation, auch fürs GPS, erfolgt quer durch die Wüste per Satellit und Mobilfunk. Trotzdem sollte man für ein Blackout vorsorgen und eine Straßenkarte aus Papier bzw. als Download im Gepäck haben.

Auf die Ranch folgt das Lunch im Mountain Springs Saloon – nach weiteren 30 Kilometer über den NV 160. Das Lokal gilt als cooler Pit-Stop, wie Locals sagen, und das auch wegen seiner Höhenlage mit entsprechend kühleren Temperaturen. Sein weiteres Angebot sind Life Music, Terrasse, Essen und Trinken. Es wird Billard gespielt. An die Wände darf, wer möchte, Ein-Dollar-Noten kleben. Das haben viele getan. Hinweisschilder verbieten das offene Tragen von Waffen. Auch das ein Thema in Nevada. Wie auch die Küche Mexikos: mit Burritos, Taccos, Nachos, Enchilada. Aber last, but not least serviert der Saloon auch Classic Burger und B.B.Q. Ribs.

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Billard-Tisch auf Rädern, Dollar-Bills an den Wänden – der Mountain Springs Saloon Foto Ulrike Wirtz

Was es mit den Dollar-Bills auf sich hat: „Du schreibst einen Namen drauf. Derjenige kann das Geld nehmen“, erklärt Barkeeperin Susan. „Wenn er denn herkommt.“ Was angesichts der vielen Dollar-Noten rundum im Saloon keiner zu tun scheint.

Zur ersten Übernachtung geht’s in Pahrump in das Pahrump Nugget Hotel & Casino. Selbst mitten im Outback geht Glücksspiel, auch 24/7, auch in Pahrump und damit quasi um die Ecke von Death Valley. Dorthin liegen am nächsten Tag knapp 100 Kilometer/60 Meilen an.

Ultra-heiß und extra-tief – Death Valley

Je näher Death Valley kommt, umso karger, grau-brauner wird die Farbpalette der Mojave. Selbst ihre Grundausstattung an Flora wird rar, keine Spur mehr von der Super-Bloom. Unbemerkt ging unterwegs Nevada in Kalifornien über, wechselte die Straße ihren Namen in CA 190, auch State Line Road genannt. Nicht nur Fans ausgefallener Kultur-Locations stoppen auf der Etappe in Death Valley Junction an der Kreuzung CA 190/127. Der Ort zählt keine zehn Einwohner, wartet aber mit dem Amargosa Opera House und seinen diversen Kulturevents auf. Ein Hotel gibt es auch.

Heutige Etappe ab Pahrump: den NV 160 W über die Grenze nach Kalifornien, hier genannt CA 190 oder auch Death Valley Scenic Byway. 1. Stopp in Furnace Creek, 2. Stopp Badwater Basin und 3. Devil’s Golf Course. Danach via Daylight Pass Rd. NV 374 raus aus Death Valley zurück nach Nevada und nach Beatty für die Nacht ins Stage Coach Hotel & Casino.

Alles Bauliche könnte kaum unscheinbarer sein: ein weißer Flachbau in U-Form im alt-mexikanischen Stil weiß getünchter Lehmziegeln. Auffällig wird beim Näherkommen nur eine kleine Tür, da schön bunt angemalt und darüber der Name des Hauses. Hier geht es hinein in den Kulturtempel. Aber um diese frühe Tageszeit ist er geschlossen. Erbaut wurde das ganze 1925 durch die Minengesellschaft Pacific Borax Company PCB – als ihr Hauptquartier plus Hotel mit 23 Zimmern, Restaurant und großer Halle. Damals baute die PCB im Death Valley mitten im Todes-Tal das Mineral Borax ab.

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Death Valley ist nah, aber das Amargosa Opera House keine Fata Morgana Foto Ulrike Wirtz

Die Halle diente für Versammlungen, Tanz und Theater. Bis alles endete, fast verfiel und 1967 die Künstlerin Marta Becket (1924-2017), eine New Yorker Balletttänzerin, die Immobilie kaufte, Kultur-und Ballett-Events aufziehen wollte und das erfolglos tat. Bis der National Geographic über sie und ihr ambitioniertes Projekt in der Mojave berichtete. Seitdem ist das Hotel in Betrieb. Die Oper wird bespielt. Spenden sind immer willkommen. Die Künstlerin hat angeblich selbst die Eingangstür so kunstvoll bemalt.

Dante’s View und Badwater Basin

Die Badwater Rd. wartet, führt erst nach Furnace Creek in das Visitor Center & Museum des Death Valley National Park. Das Center stellt interessante Exponate und gewisse verlässliche Infrastruktur (WC) bereit und informiert vor allem auch, welche Sträßchen und Pisten durch das Death Valley aktuell gesperrt sind. Zumal selbst hier im Todes-Tal urplötzlich Gewitter mit Starkregen aufziehen können, der Straßen unterspült und Umwege nötig macht. Nahe Center wartet das Hotel Ranch Death Valley und bietet auch einen Shop, um Snacks und Wasservorräte aufzufüllen und so weiter.

Das Thermometer zeigt am 30. April 2024 um 15.01 Uhr 99 F/37 C. Die Luft ist trocken, die Sonne brennt, dabei ist es erst Frühjahr. In der folgenden Nacht, so die Wetterstation im Visitor Center, wird es sich auf 71 F/22 C abkühlen, um sich tagsüber erneut aufzuheizen. Vorboten der Rekord-Extreme: die schon erwähnten 134 Grad F/56,7 C, gemessen im Juli 1913. Temperatur-Highlights jüngster Zeit blieben knapp unterm Rekordwert – mit 129,9 F/54,4 C am 18. August 2020 sowie 130 F/54,4 C am 9. Juli 2021.

Badwater Basin von-Dantes View auf 5000 Feet Foto Ulrike Wirtz 9605
Höllisch, doch von dieser Erde: das salzhaltige Badwater Basin aus gut 1.600 Meter Höhe von Dante’s View aus betrachtet Foto Ulrike Wirtz

Ab Visitor Center sind es noch 18 Kilometer zum Bad Water Basin. Einen ersten optischen Eindruck ermöglicht der Aussichtspunkt Dante’s View in der sogenannten Black Mountains Range. Hierher hat sich das Auto auf 1.679 Meter hoch gezirkelt. Tief unten dann eine weiß schimmernde kilometerlange Fläche, die ab und an leicht smaragd-grün glänzt wie ein eiskalter Bergsee im kanadischen Whistler. Dazu am Horizont hohe Gipfel, die viel zu wenig Regen zulassen hier und überhaupt in der Mojave. Von oben sieht das ganze Weiß in der Senke nach Schnee aus. Oder sind das Halluzinationen?

Das Weiß ist jedenfalls Salz, das Basin ein einstiger, nun ausgetrockneter Salzsee. Das bestätigt sich, als es von Dante’s View wieder hinuntergeht – erst im Auto die 1.679 Meter, dann weiter zu Fuß bis zum niedrigsten Punkt der USA. Sprich auf 85,5 Meter unter dem Meerespiegel. Am Zielort kurz den Finger eingetaucht ins Basin und am Weiß geschleckt. Grrr, Salz, sagen die Geschmacksknospen, tatsächlich kein Schnee.

Badwater Basin und Schuhe davor, wegen ein paar Zentimeter Wasser Foto Ulrike Wirtz 9674
Führt das Badwater Basin mal zwei Zentimeter Wasser, geht es barfuß weiter Foto Ulrike Wirtz

Das Basin und seine weißen Flächen dürfen betreten werden. Menschen flanieren darüber, ein, zwei Kilometer hin und zurück. Aber Achtung heuer – nasse Füße. Daher gehen manche barfuß durch die weiße Senke. Den Boden des Basin bedecken gar zwei, drei Zentimeter Wasser von Regen zuvor. So wird das Salz zu körnig-feuchter Masse. Guide Charlie: „Ohne Wasser wäre das eine einzige feste Kruste. Das ist sie meist. Das Wasser ist schnell wieder verdunstet.“ Denn heiß ist es, so heiß. Den Flanierenden rinnt der Schweiß über die Stirn, durchs Gesicht. Kappe bzw. Kopftuch und Sonnenbrille tun not. Der eigene Wasserhaushalt ruft nach Nachschub. Hitze und flirrende Luft scheinen noch intensiver als am Visitor Center und sind es. Kein Wunder am bisher heißesten Ort auf Erden, der je offiziell gemessen wurde.

Der Golfplatz des Teufels

Kein Wunder auch, dass manche das Todes-Tal für Teufelswerk halten und wenige Kilometer entfernt vom Basin den Devil’s Golf-Course vermuten. Der Platz entpuppt sich als Areal, dessen Boden mit Messerscharfem bedeckt ist, das wie Blumen aus der Erde zu wachsen scheint. Alles Kristalle, optisch magisch und ein auf die Ewigkeit angelegtes Naturphänomen der Mojave in ihrem Death Valley. Das nächste Phänomen wartet um die Ecke.

Artists Palette nahe Badwater Basin Foto Ulrike Wirtz 9734
Kunst der Natur – die Artists Palette Foto Ulrike Wirtz

Die Artist’s Palette am Artist‘s Drive Scenic Loop, der von der Badwater Rd. abgeht: ein Felsmassiv, auf dessen Flächen Mineralien im Gestein für einen Farbrausch sorgen. Rot, orange, türkis-grün, pink. Sachlich betrachtet sind das Spuren von Eisenoxiden, Bauxit, Chloriden etc. Von hier geht es erst den Loop wieder retour, dann weiter den CA 190. Sand türmt sich auf einmal auf: die Mesquite Flat Sand Dunes. Die Sahara lässt grüßen, allerdings nur auf wenige Kilomter. Die Mesquite Flat Sand Dunes sorgen für Lichtspektakel, je nachdem wie die Sonne den Sand anlacht oder nachts ein voller Mond. Der Wanderweg durch die Dünen ist hin und retour gut drei Kilometer und beschwerlich.

Entlang der Dünen Mesquite Flat Sand Dunes führt die CA 190 E raus aus Death Valley und Kalifornien und zurück in die Mojave von Nevada auf die NV 374 nach Beatty; hier über Nacht im Stage Coach Hotel & Casino.

Geisterstadt Rhyolite und ihr Totem Foto Ulrike Wirtz 9880
Eine Stadt erst hoher Blüte, dann schnellen Zerfalls – Rhyolite ist heute Geisterstadt Foto Ulrike Wirtz

Kulissen-Wechsel: Nahe Beatty wartet ein Relikt von Menschenhand: die Geisterstadt Rhyolite Ghost Town. Wie der Name schon sagt, nur Geister wohnen jetzt noch in den zerfallenen Häusern aus der Blütezeit von rund 1905. Ruinen und Geschichten einstiger Bewohner lassen sich erkunden. Weiter nördlich folgt der Stopp im einstigen Goldgräberstädtchen Goldfield, weil im Ort neben rund 200 Einwohnern noch metallene Geister wohnen und was für welche: Autowracks als Gesamtkunstwerk von Menschenhand.

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Mit Autowracks treibt die Mojave seltsame Blüten Foto Ulrike Wirtz

Die Wracks wurden von kreativen Köpfen mal kopfüber einzementiert oder im Boden eingegraben. Oder die Künstler haben die zerbeulten Auto-Boliden hoch auf andere Wracks positioniert. Das Arrangement beschreibt sich als Galerie der Kunst, nennt sich auch einen Skulpturengarten und fordert Respekt für die Künstler. Alles d’accord und einen Umweg wert.

Der nächste Stopp ist der Tonopah Historic Mining Park und erzählt, wie in Rhyolite und anderswo die Minengesellschaften ihr Geschäft betrieben haben, wenn sie der Wüste ihre Schätze abtrotzten, wenn sie Backofentemperaturen hin oder her nach Bauxit oder Gold und Silber schürften. Manche Firmen tun es immer noch oder tun es wieder. Dass dabei damals auch vierbeinige Mitarbeiter halfen, ist eine ganz andere Geschichte – mit Folgen für die Fauna bis heute. Die lassen sich unterwegs leibhaftig erleben. Die Vierbeiner waren Esel.

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Früher Lastenesel, heute verwildert – Burro heißen sie und sind manchmal zutraulich Foto Ulrike Wirtz

Genannt Burros. Sie wurden damals als Zugtiere und Lastenträger eingesetzt, leben nun verwildert in der Mojave. Und siehe da, ab und an kreuzen sie irgendwo im Nirgendwo auf einmal den Weg und sehen einen niedlich an. Sie lassen eine gewisse Nähe zu. Aber Füttern veboten und Jagen auch.

Die heutige Etappe führt von Beatty nach Tonopah. Der Ort auf 1843 Höhenmeter hat – na klar – ein Casino, eine Brauerei und mit dem alten Mizpah Hotel einen coolen Stopp zum Übernachten.

Tonopah wirkt fast verträumt, dabei herrscht im Ort mit gut 2.000 Einwohnern für die Mojave relativ viel Leben. Gegründet anno 1901, pflegt Tonopah bis heute seine guten Verbindungen zur Air Force und seine starke Vergangenheit als Zentrum der Schürfgebiete in den Bergen. Der legendäre Law-&-Order-Man Wyatt Earp soll seinerzeit vor Ort einen Saloon unterhalten haben. Das Mizpah Hotel, erbaut 1905, war dereinst das höchste Gebäude in ganz Nevada – mit gerade mal fünf Stockwerken. Lang, sehr lang ist das her. Längst haben Las Vegas‘ Hotels diese Höhe gesprengt. Das Mizpah hat dagegen seinen Charme als historische Herberge mit dem Luxus damaliger Zeit erhalten und angenehm ergänzt um heutigen Wohnkomfort.

Mizpah Hotel mit Bar - alles im Glanz alter Eleganz Foto Ulrike Wirtz 0216
Das Mizpah Hotel mit Bar glänzt in alter Eleganz Foto Ulrike Wirtz

Morbides strahlt Tonopahs alter Friedhof aus. Spuken soll es im daneben liegenden Clown Motel, 100 North Main Street, laut Eigner das furchterregendste Motel der USA. Andere zieht es gleich in die Tonopah Brewing Company, 315 South Main Street, auf ein, zwei, drei Bier nach all dem Staub der Wüste; und dazu Burger oder Steak. Auf die Stärkung folgt das Sternegucken, schließlich hat Tonopah einen offiziellen Dark Sky – perfekt für den letzten Abend des Road-Trips retour Las Vegas, wo wieder ein einziges nächtliches Lichtermeer wartet. Dark Sky ist auch ein Titel für Orte/Regionen, wo allein Sterne, Mond und Milchstraße bei Nacht funkeln. Davon hat die Mojave etliche.

Ein Paradies für Sternegucker

Am Firmament herrscht tiefe Dunkelheit, keine künstlichen Beleuchtungen stehlen dem Himmel und seinen Gestirnen die Schau. Ein Faszinosum und eine Story für sich, liegt nun der Fokus auf Ufos am nächtlichen Himmel. Schließlich ist die Area 51 nicht mehr weit, versteckt sich am Weg der letzten Etappe. Achtung – die Area steht für Verschwörungstheorien, Legendenbildung und Utopie. Anders als der bisherige Road-Trip durch die Wüstenei der Mojave, wo vieles zwar ungewohnt-fremd, doch von dieser Erde ist.

Die letzte Etappe führt 250 Kilometer via NV 375 South von Tonopah über Rachel nach Las Vegas. Vorbei an der Nellis Air Force Bombing and Gunnery Range und der berühmt-berüchtigten Area 51, wo angeblich Ufos und Aliens gesichtet wurden. Daher heißt der 375 auch Extraterrestrial HW.

Das Gebiet der Area 51 wird total abgeschirmt, wurde lange Zeit durch diverse US-Regierungen verleugnet und gehört zur Luftwaffen-Basis Nellis Air Force Bombing and Gunnery Range, die Testgelände für Militärisches und sowieso Sperrgebiet ist. Die Basis liegt nahe dem Örtchen Rachel mit kaum 50 Einwohnern am NV 375; Rachel befindet sich damit am nächsten zur ominösen Area. Die einzige Kneipe im Ort ist das Little A’Le’Inn, das seine Geschäfte ganz aufs Außerirdische verlegt hat, alles Mögliche samt Alien-Masken feilbietet, nebst Möglichkeiten zu übernachten.

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Das Little A’Le‘ Inn ist touristische Infrastruktur am Extraterrestrial HW nahe Area 51 Foto Ulrike Wirtz

Obschon sich Ufos und Aliens bisher nicht nachweislich eingefunden haben, lockt die wüste Story darum jedes Jahr aufs Neue Menschen in die Gegend. Der Deutsche Jörg Arnu erzählte der FAZ jüngst seine Sicht der Dinge (Ausgabe 3.5.2025). Er kam laut FAZ 1998 erstmals als Besucher her. Und direkt faszinierten ihn die Dunkelheit der Wüste und ihr Sternenhimmel. Er kannte damals auch schon die Erzählungen zu Außerirdischen. Später bezog der Elektrotechniker und Software-Entwickler ein Haus in Rachel nur wenige Kilometer entfernt von Nellis Basis und Area 51. Arnus Erkenntnisse nach all den Jahren, in denen er Flugbewegungen, Lichter und Überschall-Geräuschkulissen vor Ort beobachtet hat: „Die Area 51 hat mit Ufos und Aliens nichts zu tun.“

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Den Highway nahe Area 51 reklamieren Außerirdische für sich, aber Erdlinge welcome Foto Ulrike Wirtz

Wie er alles sieht und was er beobachtet, hält Arnu auf seiner Website dreamlandresort.com fest: „Das Sperrgebiet ist ganz eindeutig Testgelände für Air Force und Navy.“ Offiziell enttarnt ist die Area 51 als Teil der Basis ohnehin, seit Barack Obama in seiner zweiten Amtszeit ihre Existenz offiziell einräumte. Und Ufos bei Rachel am Straßenrand? Alles Erzählstoff und Touristen-Attraktion und wenn, dann nur Attrappen. Bisher jedenfalls. Die Super Bloom unterwegs war dagegen real.

Websites und weitere Info

Allgemeine Besucher-Info zu Nevada http://travelnevada.de. Zum Tourenanbieter Bindlestiff in Las Vegas www.bindlestifftours.com

Konkretes zu: Mojave National Park Area www.nps.gov/moja. Zum Red Rock Canyon www.redrockcanyonlv.org Zur Mountain Spring Ranch https://parks.nv.gov/Mountain Zu Death Valley National Park, Furnace Creek und Badwater Basin https://www.nps.gov/deva Zu Tonopah www.tonopahnevada.com Zur Rhyolite Ghost Town www.rhyoliteghosttownnevada.com Zum International Car Forest of the last Church https://travelnevada.com/Arts.culture Sowie Tonopah Historic Mining Parc www.tonopahminingpark.com Zu Dark Skies und Sternegucken in Nevada: https://travelnevada.com/stargazing. Zum Amargosa Opera House www.amargosaoperahouse.org; über Becket’s Geschichte berichtet auch eine Filmdokumentation und gewann 2003 einen Emmy.

Die Hotels auf dem Road-Trip: das Pahrump Nugget Hotel & Casino www.goldencasinogroup.com; das Stage Coach Hotel & Casino in Beatty https://stagecoachhotelandcasino.com; das Mizpah Hotel in Tonopah www.themizpahhotel.com

Zum Regen in der Mojave: Durchschnittlich fallen fünf Zentimeter, damit wesentlich weniger als in anderen Wüsten. Gelegentliche Gewitter mit heftigem Regen sind speziell im Spätsommer möglich. Historische Überschwemmungen gab es zuletzt im August 2022; alle Straßen mussten geschlossen worden, Autos wurden weggespült oder unter Erdreich begraben. Es gab keine Rückmeldungen von Verletzten.   

Alkmaar - Käsemarkt zwischen Grachten

Alkmaar – nicht alles Käse

Der historische Käsemarkt machte die nordholländische Stadt Alkmaar bekannt. Er hat Tradition seit 1622 und findet immer Freitag von Ende März bis Ende September statt. Aber Alkmaar bietet mehr, ob historische Leckerbissen oder Lukullisches, da Trendsetter Altes neu interpretieren. Drei Tage vor Ort lohnen, so lange kann das eigentliche Ziel warten: acht Kilometer westlich die Nordsee und kilometerlange Sandstrände, landeinwärts Wälder und Polder-Landschaft.  Lebensart-Reise war vor Ort.

Alkmaarer Käsemarkt

Mit ihren Strohhüten auf dem Kopf wirken die Männer auf den ersten Blick mediterran. Die Strohhüte kommen in Gelb oder Grün, in Blau oder Rot daher oder haben entsprechend fabrige Bänder. Die Männer haben aber nichts mit Spanien, Italien oder ähnlichen Mittelmeer-Ländern zu schaffen. Vielmehr rauschen die Hutträger mit ihren bunten Kopfbedeckungen und ansonsten in Weiß gekleidet über den Waagplein in Alkmaar, gelegen in Nordholland. Sie schleppen Käseräder auf Tragen hin und her. Seit 28. März ist nämlich wieder allwöchentlich am Freitagmorgen traditioneller Käsemarkt in Alkmaar – am gleichen Fleck seit gut 500 Jahren und heute das schöne alte Zentrum von Alkmaar mit seinen schmalen Gassen, malerischen Grachten und kleinen Häusern aus alt-niederländischer Zeit, mit Geschäften, Boutiquen, Lokalen und Wohnungen. Und mit einigen imposanten historischen Gebäuden.

Alkmaarse Kaasmarkt mit Waaggebow Foto Ulrike Wirtz 4255
Tradition seit mehr als 500 Jahren hat der Alkmaarer Käsemarkt. Ähnlich alt ist das Waagebow mit seinen großen Waagen drinnen Foto Ulrike Wirtz

Darunter das Waaggebow. Das Gebäude hat einen Turm, aber auch Tore, die an eine Markthalle erinnern. Aber drinnen warten große Waagen und sind seit 1582 in der Funktion im Einsatz. Damals bekam Alkmaar das offizielle Wiegerecht verliehen. Nur dass inzwischen die Tore des Waaggebow meist zu sind, weil das Wiegen von Amts wegen anders geht. Und dann tun sich alljährlich ab dem letzten Freitag im März jeden Freitagmorgen die Tore auf, öffnen den Blick auf die alte Tradition und ihre Rituale, auch die nicht Sichtbaren, mit denen das ganze seit einem halben Jahrtausend einhergeht.

Beim Alkmaarse Kaasmarkt nach alter Manier finden sich jeweils Hunderte, je nach Saison und Wetter gar Tausende Zuschauer ein – obschon sie bei diesem Markt nicht mal Käse kaufen können. Denn heute ist alles mehr Spektakel – zwischen zehn und 13 Uhr.

Kaesetraeger vor der Waage drinnen Foto Ulrike Wirtz 4405
Die Gilde der Käseträger besteht seit 1593. Die Käseträger haben einiges zu schleppen. Das tun sie im Angesicht ihres Schweisses for show Foto Ulrike Wirtz

Mit den Details dazu kennt sich einer der in weiß gekleideten Männer bestens aus: Daan Vrees und Träger eines gelben Huts. „Ich bin seit meinem 50. Lebensjahr Kaasdrager und nun 78. Aktuell haben wir rund 30 Käseträger jeden Alters. Alles nach wie vor Männer. Jeder hat einen Spitznamen. Meiner ist Jockey. Schleppen muss ich nicht mehr.“ Und was hat es mit den verschiedenen Hutfarben auf sich? Daan: „Die vier Farben stehen für die vier Gruppen unserer Käseträger-Gilde, die sich das Tragen teilen. So sind sie leicht zu erkennen und ihren Gruppen, den Veemen, zuzuordnen.“ Die Gilde wurde 1593 gegründet. Ihre Vorsitzenden führen die Bezeichnung Kaasvader, also Käsevater.

Väterliche Strenge und gewisse Hierarchie

Ihr  Präsident heuer ist Willem Boost und ebenfalls ein Senior der Gilde. „Manche Träger nennen mich kurz Paps.“ Er ist gut daran zu erkennen, dass er als Präsident einen 200 Jahre alten Stock hält – eine traditionelle Insignie des Amtes. Allerdings sind inzwischen die Gilden-Mitglieder Angestellte der Stadt, boten ihre Käseträger-Kunst schon ab und an als Show etwa in Japan oder England dar und gehen alle außer freitags von Ende März bis Ende September anderen Arbeiten nach.

Während Daan und Willem erzählen, geben die Männer mit den roten, grünen, blauen oder gelben Hüten alles. Die Käseträger arbeiten paarweise, haben sich dafür zusammen ein spezielles Geschirr mit Brett angelegt, auf welchem die Käseräder zu liegen kommen, und laufen so beladen emsig hin und her. Und das zwischen Waagplein, wo die Käse verteilt in schnurgeraden Reihen auf dem Boden liegen, und den Waagen im Waagebow, dann retour und wieder aufs Neue. Bis all der Käse auf wartende Lastkarren verladen ist. Und wehe, jemand von der Gilde kommt unpünktlich. Start ist je nach Einteilung für manche ab sieben Uhr, für andere ab 9.45 Uhr. Zehn Uhr geht es offiziell los.

Alkmaarer Käsemarkt - Daan Vrees mit Schandbord Foto Ulrike Wirtz 4362.jpg
Käseträger Daan Vrees ist seit über 20 Jahren Käseträger und genießt Respekt auch beim Führen des Schandbord Foto Ulrike Wirtz

Daan: „Wer sich verspätet, kommt aufs „Schandbord“ und zahlt zwei Euro. Die Käseträger zahlen das Doppelte.“ Er hält das Schandbord, das mit Kreide geführt wird,  hoch. Es liegt im Waaggebow im für die Gilde reservierten Raum. Hier können die Träger verschnaufen und Kaffee trinken. Denn sie kommen ganz schön ins Schwitzen: Jedes Käserad wiegt zwölf Kilo; jede Fuhre pro Geschirr hat sechs bis acht Räder, macht bis zu 100 Kilo pro Tour. „Alles in allem liegen draußen auf dem Platz 30.000 Kilo“, so Daan. „1920 etwa, noch zu Zeiten echter Markttage, waren es 130.000 Kilo.“ Damals herangebracht von den Bauern in Booten über die Grachten und Kanäle aus dem Umland.

Heutzutage wird vor allem Gouda geschleppt Foto Ulrike Wirtz  4310.
Nordhollands salzige Nordsee-Luft beschert dem hiesigen Gouda und dem Beemster tolle Aromen Foto Ulrike Wirtz

Zum emsigen Treiben gehören auch Männer mit weißem Hut, die fast nicht auffallen. Daan: „Das sind neue Käseträger, praktisch Lehrlinge.“ Und in blauen Jacken: „Die stapeln die Käseräder auf dem Waagplein und helfen beim Beladen der Tragen.“ Und braunen: „Die tragen den Käse nachher zum Karren.“ Und weißen Kitteln: „Die Qualitätsprüfer.“ Sie gehen auf dem Platz durch die Reihen, nehmen einzelne Käseräder auf Beschädigungen außen in Augenschein und entnehmen Proben mittels Stich des Käsebohrers ins Gelb.

Käse-Prüfer Eric Duijff Foto Ulrike Wirtz 4296
Auch Teil des Traditionsmarkts – Käseprüfer wie Eric Duijff testen die Ware Foto Ulrike Wirtz

Eric Duijff ist einer dieser Prüfer, erklärt, wie es geht: „Man sieht sich zuerst die Probe an, riecht dran, reibt sie zwischen den Fingern, riecht wieder dran und lässt sie auf der Zunge zergehen.“ Gesagt, getan. „Hmm, lecker, oder?“, fragt Eric und meint es eher rhetorisch.

Der heuer präsentierte Käse ist vor allem Gouda, dazwischen einige Räder Royaal by Beemster. Eric: „Die Böden in Nordholland waren immer schon und sind nach wie vor ideal für Viehzucht und Milchwirtschaft zur Käseproduktion. Daher entstand der Käsemarkt 1622 hier in Alkmaar als Zentrum des umliegenden Bauernlands.“ 35 Kilometer hinter Amsterdam. Um 1920 habe es hier oben 125 Käsereien gegeben. „Nun gibt es noch zwei große Produzenten. Beide stellen pro Tag zusammen 250.000 Kilo her – aus 2,5 Mio. Liter Milch.“ Die Firmen sind Lutjewinkel1916 sowie Cono, der Beemster-Käse macht. Gouda und Beemster aus Nordholland galten und gelten immer schon als besonders aromatisch. Eric: „Das liegt am salzigen Klima der Nordsee. Das macht das Gras in den Poldern besonders schmackhaft und damit die Milch und den Käse daraus.“ www.kaasmarkt.nl/de

Durch das historische Zentrum mit Tour-Guide Tineke Korver

Die waschechte Alkmaarerin verweist auf Schätze, Kleinode und Typisches, sei es schön, rar, historisch und/oder nicht direkt augenfällig. www.visitalkmaar.com/de/vvv-Touristeninformatie

1. Stopp: beim Waaggebow an der Zugbrücke Ecke Apelsteeg/Zijdam; die Brücke ist eine derjenigen, die mit Ketten gehoben und gesenkt werden und das von Hand. Dafür kommen eigens Hafenmeisterin oder -meister.

2. Stopp: das Wohnhaus von 1609 mit der Hausnummer 110 an der Gracht Luttik Oudorp nahe Kooltuin; es ist eines von Alkmaars 400 Baudenkmälern und ein Prachtexemplar in Sachen althergebrachter Treppengiebel.

Treppengiebel sind typisch alt-niederlaendische Architektur Foto Ulrike Wirtz 4636
Blick nach oben – der Treppengiebel ist ausgesuchte alt-niederländische Architektur Foto Ulrike Wirtz

Das heißt: Zum Giebel verjüngt sich das Haus auf seinen Seiten stufenartig, wird immer schmaler bis zum Dachfrist. Die Hausfront ziert ein Relief dreier Kochlöffel-Symbole. Die stehen für die Feinbäcker, die einst im Haus Backware produzierten und verkauften. Der Takelhaken am Dachfirst ist alt-niederländische Tradition, um Lasten in die oberen Etagen zu hieven, einst Getreidesäcke fürs Backen, heute Möbel etc.

3. Stopp: die Straße Kooltuin; sie steht für den Garten einst an Ort und Stelle und gehörte zu Schloss Torenburg, erbaut im 13. Jahrhundert und später demoliert. Es folgt die Ecke Zijdam/Achterdam, letzteres eine Mini-Gasse, die Polizei-Kameras überwachen, die auch anzeigen: Achtung, Beginn des Rotlichtmilieus.

Fertig für familiäre Grachtentouren Foto Ulrike Wirtz
Solche Boote sind ideal für familiäre Grachtentouren (siehe ganz unten) Foto Ulrike Wirtz

4. Stopp:  am Brückchen Platte Stenenbrug, Ecke Hatzelstraat/Oude Straat zur Verdronkenoord. Am Grachten-Ufer versammeln sich Restaurant-Terrassen, wo es sich sehr schön sitzt, weil das Wasser Frischluft mit sich bringt. Seitlich der Platte Stenenbrug stehen mehrere meterlange Steinplatten, die an Tische erinnern, weil restaurantartig eingedeckt. Hier war lange der Fischmarkt. Der bekam 1755 die Steinplatten, genannt Visbanken, um darauf das frisch gefangene Meeresgetier feilzubieten. 1882 kam ein Brunnen hinzu. Den Vismarkt gibt es lange nicht mehr. Stattdessen sind die Bänke inklusive Brunnen Rijksmonument und sind auch Teil des Lokals de Buren, das auch auf den Steinplatten Getränke und Essen serviert.

Einst Visbaken, heute Teil eines denkmals Foto_Ulrike_Wirtz 4655.jpg
Als hier noch der Fischmarkt war, waren das Visbanken. Heute sind sie Teil eines Restaurants, der alte Fischmarkt samt Brunnen Rijksmonument Foto Ulrike Wirtz

5. Stopp: die Synagoge an der Hofstraat 15-17; erstmals fertiggestellt 1844. Die Jüdische Gemeinschaft ist in Alkmaar seit dem 17. Jahrhundert verwurzelt, seit die Stadt sie aufnahm, weil sie andernorts flüchten mussten. 1940 kamen die Nazis in die Stadt, deportierten die jüdische Gemeinde und führten die Synagoge anderen Zwecken zu. Seit 2010 ist hier wieder die Synagoge einer wieder wachsenden jüdischen Gemeinde. https://alkmaarsesynagoge.nl

6. Stopp: die Molen van Piet; so genannt nach dem Familiennamen derer, die sie seit 1884 bewohnen. Ihr eigentlicher Name: Molen de Groot und erbaut 1769 als Getreidemühle genau auf der Stadtmauer. Sie war nur eine von zehn Mühlen, die auf dem Schutzwall von Alkmaar errichtet wurden, um besser den Wind einzufangen, und sie blieb als einzige übrig. www.molenvanpiet.nl

7. Stopp: in Sachen Rudi Carell am Munnikenbolwerk, ein Park an der Singelgracht im alten Alkmaar; hier steht seine Büste und lässt ihn übers Wasser zum Stadtteil Spoorburt blicken. Hier wurde der 2006 in Bremen verstorbene Show-Master, Sänger und Schauspieler 1934 geboren, wuchs hier auf und verzückte später in seinem Beruf die Deutschen mehr als die Holländer; das mit von ihm entwickelten TV-Shows wie „Am laufenden Band“ und „Verflixte 7“.

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Rudi Carrell – in Alkmaar geboren, in Deutschland zu TV-Ruhm gekommen, später auch in der Heimat geehrt Foto Ulrike Wirtz

Rudi Carell trat schon als Jugendlicher in die Fußstapfen seines Vaters André, ebenso Komiker und Conférencier von Beruf. Das war in Alkmaars Theater im damaligen Hotelsaal des „De Gulden Vlies“. Heute gedenkt Alkmaar seiner auch mit einem Rudi Carrell Plaats und einer Rudi-Carrell-Laan.

8. Stopp: das Stedelijk Museum am Canadaplein – daneben das Theater De Vest – im modernen Gebäude. Die sind rar im alten Alkmaar. Das Museum wartet mit Historie seit 1873 auf. In dem Jahr wurde das Stedilijk gegründet und ist damit eines der ältesten Museen Hollanda. Es zeigt alte und neue Kunst. „Alte“ Highlights: Werke aus und zu den Zeiten der Spanier in den Niederlanden – siehe unten. „Neue“ Highlights: Gemälde der Bergener Schule von 1915 bis 1925 und berühmt für ihren Hauch bereits von Expressionismus und Kubismus. https://stedelijkmuseumalkmaar.nl

Ausgestellt im Stedelijk Museum von Alkmaar - Künstler der Bergense Foto Ulrike Wirtz
Kunst der Bergense School im Stedelijk Museum Alkmaar – Foto Ulrike Wirtz

Sie heißt Bergense School, weil sich die Künstler seinerzeit in Bergen, ein Nachbarort von Alkmaar, einnisteten und den Austausch untereinander suchten.  

9. Stopp: die Laurenskerk, eröffnet 1518 als De Grote SintLaurenskerk. Ihren schlichten Namen führt die Ex-Kirche, seit sie 1996 entwidmet wurde. Seither ist die Laurenskerk angesagte Location für Events, Festivitäten und Ausstellungen. Ihr eilt ein Ruf voraus, als Konzertsaal sensationell zu sein; nämlich ob ihrer Hauptorgel, erbaut 1639 bis 1646, seither mehrfach restauriert und ein Instrument von Weltruf. Hinzu kommt die so auch genannte kleine Orgel, 1511 fertiggestellt und heute die älteste bespielbare Orgel der Niederlande. Ob beider Schätze finden sich regelmäßig international bekannte Organisten ein, um die Orgeln zu spielen.

10. Stopp: in der Laurenskerk das Fenster, das die Alkmaarer sich 2023 zum 450. Jahrestag der Befreiung von Spanien gönnten. Sie nennen es bedeutungsvoll Het Licht van de Vrijheid –  das Licht der Freiheit. Allein seine Größe: 23 Meter hoch und sechs Meter breit. Wunderbar ist sein gläsernes Spiel aus Farben und Licht. Dann die Handwerkskunst: Das Fenster wurde aus 214 einzelnen Feldern zusammengesetzt, die aus je 250 handgeschnittenen Glasstücken bestehen. Ein Geduldsspiel und eine Kunst, das alles zusammenzufügen. Das Design stammt von der Künstlerin Fiona Tan, gebürtig aus Indonesien und wohnhaft in Amsterdam. Zum Leben gebracht haben es die Derix Glasstudios, Glasmanufaktur seit 1866 in Taunusstein bei Wiesbaden. Die Spezialisten realisierten auch das 2007 eingeweihte Richter-Fenster des großen Gerhard Richter im Kölner Dom. https://hetgrooteraam.nl

Eine besonderer Erfolg, geschlagene Spanier und süße Belohnungen

Die Strohhüte vom Kaasmarkt haben nichts mit Spanien zu tun. Trotzdem hat es mit dem Land im tiefen Süden eine besondere Bewandnis. Daran erinnert die Stadt sogar mit einem besonderen Feiertag: der Alkmaar Onzet am 8. Oktober. Der steht nämlich für die Befreiung der Niederlande in toto im 16. Jahrhundert – nachdem die Spanier das Land an der Nordsee 80 Jahre unter ihre Knute zwingen wollten. Alkmaars Rolle: Hier setzte es für die Spanier die entscheidende erste Niederlage. Für Details geht es ins alt-ehrwürdige Rathaus: das Stadthuis, erbaut anno 1520 an der Langestraat und damit schon steinerner Zeitzeuge. Der Prachtbau in Gotik und ebenfalls Rijksmonument dient heute mehr repräsentativen Zwecken der Stadtoberen. So auch wenn Robert te Beest als Wethouder einlädt, da der große Feiertag der Stadt seine Schatten wirft.

Stadtoberer Robert Te Beest Foto Ulrike Wirtz 4202.
Stadtvertreter Robert Te Beest empfängt zum Anlass mit Victorientjes Foto Ulrike Wirtz

Rund um den besonderen Tag kredenzen Konditoreien etc. eigens eine süße Verführung: das Victorien-Gebak, liebevoll genannt „Victorientjes“, so auch von Stadtvertreter Robert te Beest. Er zeigt auf die Törtchen mit roter Fruchtmasse und Sahnecreme, schön auf Teller drapiert. Die verteilen sich über den antiken Holztisch, der den Prunksaal des Stadthuis ziert. Robert Te Beest freut sich sichtlich schon aufs Süße: „I love it.“ Die Törtchen sehen aber auch zu appetitlich aus, die Aussicht darauf lässt sichtlich bei allen am Tisch das Wasser im Mund zusammenlaufen. Robert te Beest: „Am 8. Oktober feiern wir den Tag anno 1573, an dem die Bürger von Alkmaar die Spanier verjagten. Der Alkmaarer Sieg war der entscheidende Auftakt zur Befreiung der ganzen Nation.“ Die Besatzer hielten damals Holland im Griff bis zum hohen Norden, die Niederlande; so genannt weil die Region eigentlich unter dem Wasserspiegel liegt.

Der Stadtrat zeigt auf die Flagge an der Wand mit dem Stadtwappen. „Hier steht Alcmaria victrix. Das bedeutet die Siegreiche – wegen unseres Siegs.“ Man merkt, dass er die Story gern erzählt. Zumal die Bewohner, damals vor allem Bauern, plattes Land sozusagen, die Spanier durch eine List vertrieben haben, bevor seinerzeitige Topstädte es richten konnten. Die List hat damit zu tun, dass die Niederlande durch ihre Lage unterm Meeresspiegel je nach Regenmenge überflutet wurden. Wären da nicht die Deiche. Schon damals. Da war das zusätzliche System von Wasserläufen und von durch Windmühlen-Kraft betriebenen Pumpen, um das Wasser abzupumpen und zur Nordsee zu leiten, noch Zukunft.

Widerstand und Wasser los einst in Alkmaar

Robert Te Beest: „Die Spanier lagerten im Außenbereich von Alkmaar. Auf einmal drang en masse Wasser durch die Deiche, weil die Bürger sie genau in der Absicht durchlöchert hatten. Das Wasser überflutete den Lagerplatz der Spanier. Die machten sich am 8. Oktober davon.“ Zu den schon damals als top geltenden Städten, die erst später siegreich waren, gehörte etwa Leiden im Süden und wurde dafür seitens der Politik mit einer Universität belohnt. Die wurde 1575 gegründet, ist damit die älteste der Nation und genießt heute Weltruf. Die Bürger von Alkmaar haben ihren Stolz und das leckere Törtchen. Es schmeckt nach Himbeere, Erdbeere und dazu die Sahne – echt lecker.

Während die einen naschen, betont Stadtvertreter Robert te Beerst, ganz Tourismusförderer: „Unsere Region hat Strand, Wald und Käsemarkt. Grachten und Windmühlen. Die deutschen Gäste sind wichtig für Alkmaar, kommen zu Millionen nach Nordholland und tun das immer wieder – von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter. Dann kommen sie mit den eigenen Kids.“ Stimmt, unsereins gehört in vierter Generation zu den Wiederholern, locken doch wenige Kilometer gen Westen die Nordsee und lange Sandstrände, landeinwärts der Polder mit Wiesen, Weiden, Wasserläufen, Windmühlen und kleinen Dörfern. Der wird bei Alkmaar das Land van Leeghwater genannt.

Einkehrschwünge … kulinarisch

Für langjährige Holland-Reisende gehört ein Schälchen Patate, wie Fritten auf Holländisch auch heißen, dazu; zudem Bitterballen und Kaaskroketten. Nach solchem Basisprogramm könnte es in Alkmaar wie folgt weitergehen, etwa im Restaurant Turfmarkt am Gracht-Ufer (Turfmarkt 11-23) mit Lounge-Charakter und guter Auswahl an Meeresfrüchten, Fleisch, Salaten und Alkoholischem. https://turfmarkt-alkmaar.nl

Oder im Restaurant Soepp, versteckt in einer Gasse (Hekelstraat 31) und voller Mobiliar der 1960er und 1970er Jahre. Es serviert vegetarische und auf Wunsch gluten- und zuckerfreie Küche; als Suppen, aber auch Burger vegetarisch und knackig-frische Salate. https://soepp.nl

Einfach speziell – das Restaurant Neder

Feine Küche, sehr individuell und seit letztem Herbst ausgezeichnet mit einem grünen Michelin-Stern gibt‘s im Neder von Brian Luikel (Laat 85) im 200 Jahre alten Ex-Weinkantor. Mit dem Grünen Stern ehrt die renommierte Organisation aus Frankreich international Restaurants, die anspruchsvoll kochen und zugleich nachhaltig wirtschaften. Indem sie zum Beispiel fachgerecht Reste kompostieren und im eigenen Bio-Garten verwenden wie das Neder. „Um beides kümmert sich meine Frau“, so Brian. „Wir haben uns alles selbst beigebracht. Ich bin an sich gelernter Filmemacher.“

Zwiebelgemüse à la Neder Foto Ulrike Wirtz 4758.
Schlicht und lecker eine Zwiebel als Gemüse à la Neder und fein serviert Foto Ulrike Wirtz

Bis er sich akribisch, leidenschaftlich und erfolgreich reinkniete in alte Kochmethoden und in die Auswahl regionaler Produkte. „Bei uns kommt alles nur vom heimischen Boden. Ich suche und sammele selbst im Umland in Dünen, Wäldern und Polder Wildkräuter, Pilze, Beeren etc.“

Das Neder und ein Amuse Bouche Foto Ulrike Wirtz 4716.
Das Neder arbeitet kreativ-nachhaltig; hier ein Amuse Bouche Foto Ulrike Wirtz

Speziell ist auch, dass Küchenchef Brian Gesammeltes und auch Überbleibsel vom Putzen von Fisch, Fleisch und Gemüse selbst in Essig oder Laktose fermentiert – für delikate Saucen oder späteren Gebrauch, da das Fermentieren gut konserviert. Brian: „Wie hier die kleingehackten Pilze, eingelegt in Salzlacke, serviert als Amuse Bouche.“ Oder Gemüsezwiebel mit Wildmajoran auf pürierten roten Beeten. „Das gart athergebracht in Lehm.“ Und zergeht köstlich auf der Zunge.

Neder-Chef Brian Foto Ulrike Wirtz
Neder-Chef Brian macht auch alkoholfreie Schnäpse selbst, auch die nur mit heimischen Ingredienzien Foto Ulrike Wirtz

Der Autodidakt: „Das sind alte Methoden, die wiederkommen, um nachhaltig zu kochen.“ Das Neder kredenzt nach Jahreszeit und Angebot wechselnde Menus, dazu nur Getränke von niederländischem Boden, daher keinen Kaffee, aber Weine und Schnäpse, letztere auch von ihm hergestellt, alkoholfrei und geschmacklich begleitet etwa von frischer Fichtennadel. Das herbe Aroma mundet fremd, aber gelungen. www.nederrestaurant.nl

Ganz alter Stil – das Sweets & Antiques

Einmalig ist hier das Süße – in Form selbst hergestellter Kuchen. Esther ist die Chefin des Hauses und Quereinsteiger wie Brian vom Neder. Sie wirbelt unübersehbar durchs Haus, da gewandet in ein rotes Kleid mit weißen Punkten wie Walt Disney’s Daisy. „Wir backen alles selbst und machen auch unseren Teig etc. selbst. Nach traditionellen Rezepten, ob Apfelkuchen, Schokoladentarte oder Sahnetorte mit Früchten, ob Waffeln oder diese Mini-Waffeln, genannt Poffertjes.“ Passend zum traditionellen Backen befinden sich Laden und Café im altehrwürdigen Gemäuer mit Anfängen im 16. Jahrhundert. Das Haus erscheint schmal wie ein Handtuch, schwupp, man wäre fast vorbeigelaufen (Hekelstraat 8).

Esther vor ihrem suessen Geschaeft Foto Ulrike Wirtz 5277
Lecker backen mit Tradition – Esther vor ihrem Geschäft Foto Ulrike Wirtz

So schmal von außen, so sehr eng von innen. Daher kann, wer möchte, alles auch „to go“ kaufen. Innen ist alles antik oder auf antik gemacht, das Licht gedimmt. Esther: „Meine Backkünste nahmen mit Plätzchenbacken ihren Anfang. Das war vor neun Jahren. Inzwischen wurde mein Apfel-Kirsch-Kuchen mehrfach preisgekrönt.“ Inzwischen wirkt auch Esthers Tochter Amber mit, die sich ob der Nachfolge ins erfolgreiche Business als Patissière ausbilden ließ.

Kuchen traditionell lecker Foto Ulrike Wirtz  5264
Die Qual der Wahl im Sweets Foto Ulrike Wirtz

Der Blick wandert genüsslich durch die Auslagen. Hmm, der Apfelkuchen kommt auch mit Nüssen, wie verführisch. Guten Kaffee servieren Esther und Tochter Amber auch. Aber auch verwöhnte Teetrinker bekommen Gutes. https://sweetsantiques.nl

Wohnen ganz anders

Wer sein Haupt ungewöhnlich betten möchte, ist im The Fallon Hotel richtig. Nicht weil es im Park am Stadtrand liegt, und es trotz ruhiger Lage nur knapp zehn Minuten per Fahrrad zum alten Zentrum sind. Vielmehr war der Komplex an der Prins Bernhardlaan einmal der Knast für Almaar und über die Region hinaus. Nun hängt ein Schild mit vier Sternen am Fallon Hotel außen. Nichts sieht auf den ersten Blick mehr aus nach Gefängnis, auch drinnen. Hier wartet eine geschmackvoll möblierte Lobby und das Restaurant mit Bar, das D’Àrret.

Hotel-Lobby des Fallon Foto Ulrike Wirtz 4099
Früher Knast, heute Vier-Sterne-Hotel: das Fallon, hier die Lobby Foto Ulrike Wirtz

In der Lobby steht auch Ineke Haan, eine Frau mit grauem, langem Haar, eher klein von Gestalt, nun in Rente und in ihrem Berufsleben 15 Jahre Wärterin in diesem Knast. Sie fungiert heutzutage ab und an als Guide. „Das Gefängnis hieß Schutterwei. Die Strafen reichten von sechs Monaten bis lebenslänglich. Hier saßen also auch echt schwere Jungens ein. Seit vier Jahren ist der Komplex ein Hotel und stand vorher zehn Jahre leer.“

Die Tour durchs Haus mit Ineke kann beginnen. Die große Frage: Wie muss man sich die Arbeit vorstellen, dass sie schwere Jungens beaufsichtigte? „Es herrschte eine Macho-Kultur. Aber bei den Mitwärtern, nicht bei den Insassen. Tagsüber waren 25 Wächter für 125 Häftlinge im Einsatz, nachts nur vier. Ich war die einzige Wächterin. Angst hatte ich keine.“

Guide Ineke, hier einst Knast-Wärterin  Foto Ulrike WIrtz 4144
Guide Ineke war Knastwärterin, als das Hotel Fallon noch Gefängnis war Foto Ulrike WIrtz

Andererseits zog sie Zuhause Kinder groß: „Der Job war schon belastend. Ich nahm, wie man so sagt, viel mit nach Hause.“ Im hinteren Bereich des Hotels schließen die Gänge zu den Gästezimmern an. Hier erinnert einiges an früher, ist von Architekten und Interior-Designern aber kunstvoll zum ansprechenden Ganzen für Hotelgäste zusammengefügt. Erhalten blieben lange Gänge, metallene Treppen zu den oberen Etagen, alles offen, übersichtlich und heute weiß gestrichen. Jenseits der Geländer die Zellen, heute die Gästezimmer. Inneke: „Pro Zimmer sind zwei Zellen zusammengelegt und die Zwischenwände zerlegt worden. Heute sind die Zimmer hell und schön möbliert. Gar kein Vergleich zu früher.“

Weiß sind auch die Türen zu den Gästezimmern, haben aber immer noch diese Klappen – „damit Wärter in die Zellen gucken, Essen anreichen oder Handschellen anlegen konnten. Die sind natürlich nun verschlossen“ (Ineke). Es gab auch Isolierzellen – „wir hatten genug Einsitzende, die psychisch ausrasten konnten“. Räume für Leibesvisitationen – „die fanden beim Einchecken statt und später auch, weil das Einschmuggeln von Drogen und deren Gebrauch immer Thema waren“. Ein Zimmer für die Treffen der Insassen mit ihren Anwälten  – „für vertrauliche Gespräche und Beratung“.

Hotel Fallon war einst ein Knast Foto Ulrike Wirtz 4090
Was dunkler Zellentrakt war, strahlt heute in Weiß und ist schick möbliert, auch hinter den Türen Foto Ulrike Wirtz

Heute ist von all dem nichts mehr zu sehen, bedauert Ineke: „Keine Zelle wurde im Original erhalten.“ Und wie war es mit Ausbrüchen? „Die gab es, gerade weil das Gefängnis alt war. Und versehentlich blieb mal eine Außentür offen, etwa an der Remise, wo Häftlinge draußen arbeiteten. Dann wurden die Ausbrecher nicht für den Ausbruch bestraft.“ Und was blieb ihr am meisten in Erinnerung? „Noch heute habe ich es nicht gern, wenn Leute in meinem Rücken stehen. Du siehst auch hier mit Euch, da stehe ich gegen die Wand.“ https://sheetz.nl/thefallonalkmaar/de

Weitere wichtige Info und Websites

Allgemeines: Auf der Website der Stadt finden sich Informationen zu allem Möglichen, was Gäste aus nah und fern wissen möchten. Im VVV am Waaggebow gibt’s auch persönliche Beratungen. www.visitalkmaar.com/de

Grachtenrundfahrt: Wer etwas Besonderes sucht, checkt außerhalb der Stadt ein bei Windmühlen-Müller Han Kuijper. Der startet mit alten Holzbooten (Foto oben) mitten im Grünen an seiner historischen Molen, fährt erst über Kanäle, dann durch Grachten bis hinein ins alte Alkmaar. Die Route führt durch die freie Natur, vorbei an weiteren alten Windmolen und Hausbooten. Es kommen neuere Wohnanlagen,danach folgen das alte Alkmaar und seine Grachten mit Zugbrücken oder Brückchen, unter denen das Boot so gerade durchpasst. www.ilovewindmills.com

Texas Heritage Vineyard Owner Susan Johnson - Foto Ulrike Wirtz

Texas Hill Country – ein Road-Trip zu Weinen

Die deutsche Historie ist die eine Besonderheit des Hill Country im Südwesten des Lone Star State. Die andere: Die schöne Hügellandschaft entwickelt sich zu einer großen Weinregion der USA. Ihr offizieller Name: Texas Hill Country AVA. Hier gehen Verkostungen heimischer Tropfen Hand in Hand mit Landschaftsidylle. Ein kleiner Roadtrip. (alle Fotos Ulrike Wirtz)

Der Rosé glitzert im Weinglas. „Das ist unser Lizzie Rose. Zu 100 Prozent aus der Malbec Traube – alle aus unserem Weinberg. Ein Top-Wein unseres Texas Heritage Vineyard“, so Susan Johnson (Foto oben). Sie ist die Inhaberin des Weinbaubetriebs fünf Auto-Kilometer östlich vom Städtchen Fredericksburg am US Highway 290. Obschon Highway genannt und auch mal mehrspurig, ist der Verkehr relaxt – passend zur malerischen sanft-welligen Hügellandschaft, die ihren Namen Hill Country deshalb führt. Nun der erste Schluck des farblich leicht hellrosa Tropfens. Der auf der Zunge kühl-fruchtige Frische entfaltet. Dezent-süß am Gaumen schmeckt. Samtig durch die Kehle rinnt. „Unser Lizzie Rose 2021. 30 Dollar die Flasche.“

Der Rosé Malbec vom Texas Heritage Vineyard erfreut de Gaumen Foto Ulrike Wirtz
Der Rosé Malbec vom Texas Heritage Vineyard erfreut die Gaumen

Verkostet wird der gut mundende Tropfen im weiß gehaltenen Tasting Room des Texas Heritage Vineyard (VY), einer von rund 100 Weinbaubetrieben im Südwesten des Lone Star State. Mit dem Glas in der Hand löst sich das Klischee zu Texas auf, dass den US-Staat nur große Ranches und Cowboys prägen. Susan lächelt, gießt einen Probierschluck nach. „Unser Lizzie Rose wurde 2021 als bester texanischer Rosé beim Houston Rodeo geehrt.“ Houston: Millionen-Metropole 370 Kilometer östlich von Fredericksburg. „Das Rodeo ist berühmter jährlicher Wettkampf- und Viehzüchter-Event, lockt mehr als zwei Millionen Besucher an und wurde 1931 erstmals ausgetragen.“ Soll auch heißen: „Im riesigen US-Staat gehen Ranch-Kultur und Weinanbau gut zusammen“ (Susan).

Rosé vom Feinsten vom Texas Heritage Vineyard

Man erfährt von Winzerin Susan auch, dass sie bis 2013 gute Tropfen nur konsumierte und im gleichen Jahr mit ihrem Gatten Billy anfing, im Hill Country Rebstöcke anzubauen. „Da wollten wir an sich iaufhören zu arbeiten. Stattdessen habe ich noch am College Önologie studiert und mithilfe eines Experten selbst als Winemaker begonnen. Den Posten hat nun seit 2024 Tyler Buddemeyer inne“ – ein Texaner Mitte 30 aus Houston. Was der Rosè-Verkoster dann bemerkt: dass die Trauben des Lizzie Rosé Malbec nur einige Schritte vom Tasting Room wachsen. Nur einige Schritte zur Terrasse hinter dem Tasting Room – und schon kann der Blick dorthin schweifen, wo Trauben des Texas Heritage VY gedeihen: Reihe um Reihe Rebstöcke, hier und da Wiesen und Weiden und in der Ferne noch mehr davon. Auch von benachbarten Weinbauern.

Erst seit 2014 als Weinbauer dabei, doch anerkannt in der Branche Texas der Heritage Vineyard und prämierte Weine Foto Ulrike Wirtz.
Erst seit 2014 als Weinbauer dabei, doch schon anerkannt, wie prämierte Weine des Texas Heritage Vineyard zeigen

Das Areal ist Teil des Hill Country und gehört zum offiziellen Weinanbaugebiet Texas Hill Country AVA. Das Kürzel steht für American Viticultural Area und erfasst die anerkannten US-Weinbaugebiete, auch die weltberühmten AVAs in Kalifornien mit Nappa und Sonoma an der Spitze und mit 154 AVAs insgesamt in Kalifornien. Texas hat acht AVAs, eine davon die Texas Hill Country AVA.

Die  Texas HIll Country AVA ist eine von acht offiziellen Weinanbaugebieten in Texas Foto Ulrike Wirtz
Die Texas HIll Country AVA ist eine von acht offiziellen Weinanbaugebieten in Texas

Die wurde 1991 offiziell begründet, hat diese rund 100 Weinbauern und wuchs mit gut neun Mio. Acres gleich 300 Hektar bebauter Rebfläche zur zweitgrößten US-AVA nach Fläche heran. „Wohlgemerkt nach Fläche. Verglichen mit Bekanntheit und Ruf von Nappa und Sonoma gerade auch international läuft Texas unterm Radar, auch die Texas Hill Country AVA“, so Benedicte Rhyne, gebürtig aus der Provence, Master-Önologin der Universität de Bourgogne in Dijon und seit 2002 als Winemaker in Fredericksburg tätig – nach Stationen in Frankreich, Neuseeland und Sonoma.

Pioniere setzen auf Qualität statt Menge

Doch gerade auch im Hill Country tat und tut sich einiges, was Entwicklung und Bekanntheit pusht. „Wir als jüngere Winzergeneration setzen seit über einer Dekade mehr auf Qualität als Menge. In der Texas Hill Country AVA wurde gute Pionierarbeit geleistet“, betont Expertin Benedicte. Und ist selbst einer der Pioniere vor Ort, war unter anderem von 2014 bis 2024 Winemaker der Kuhlman Cellars, ebenso gelegen am US 290 östlich von Fredericksburg. Den Weinbaubetrieb baute sie von null mit auf, nennt ihn als kleineren Winzer Boutique-Winery, fährt fort: „Unsere Weine werden meist direkt bei den Winzern getrunken und stehen regional bzw. Texas-weit auf den Weinlisten guter Restaurants. Das ist gut so, spricht sich herum und lockt immer mehr Gäste an, die wegen unserer Weine anreisen. Sogar aus der Ferne.“

Im texanischen Hill Country gehen die Uhren oft langsam - das entspannt Foto Ulrike Wirtz
Im Hill Country gehen die Uhren oft noch althergebracht-langsam – das entspannt

So kommt es, dass nach Aufbaujahren im Gebiet der Texas Hill Country AVA folgendes gut zusammenkommt: ein Road-Trip zur Weinverkostung durch relaxendes Natur-Ambiente. Dafür reicht schon der US 290 gen Osten (290 East) ab Fredericksburg, weil allein hier am Weg schon etliche Weinbaubetriebe und Tasting Rooms warten. Darum auch Fredericksburg: Das Städtchen mit 10.000 Einwohnern liegt zentral in der Texas Hill Country AVA und ist mit guter Infrastruktur bei Lokalen und Unterkünften ein bequemer Standort. Von hier sind die Entfernungen nicht nur gemessen am großen Texas klein. Siehe zum Beispiel folgende drei Ziele, die einen Stop wert sind, weil sie als Topadressen gelten: ab Fredericksburg  zum Texas Heritage VY sechs Kilometer; von hier zu den Kuhlman Cellars weitere 24 Kilometer; dazwischen die Becker Vineyards, gegründet 1992 und einer der ältesten Weinbauern in der AVA.

Schön cruisen und gut verkosten am US 290

Auf der Route über den US 290 East cruist das Auto gemächlich vorbei an Weiden, Wiesen und Rebstöcken. Vorbei an Gattern mit Toren, durch die es zu einer der Farmen geht, mit Gebäuden fern der Straße irgendwo im Grünen. Darunter auch solche Farmen, die sich nicht dem Wein widmen, sondern Äpfel und vor allem Pfirsiche anbauen als US-weit nachgefragte Spezialität der Region. An manchem Zaun oder scheunenartigem Gebäude hängen daher Schilder: Peaches, Apples. Über all dem fast kitschig schön der texanisch-blaue Himmel. Zudem offensichtlich: Rinder-Ranches mit massenhaft Viehzucht sind im Hill Country selten, Trucks und Traktoren dagegen oft Begleiter. Aber auch Motorbikes und Radfahrer, die „for fun“ unterwegs sind. Beide Arten Bikes tragen jedenfalls oftmals Gepäck, das auf einen längeren Road-Trip schließen lässt.

Eine Art Pfälzer Weinstraße

Die Weinanbieter unterwegs weisen kleinere Schilder am Weg aus: etwa Hye Meadow Winery oder William Chris Vinyard, Siboney Vinyard oder schlicht 290 Vinery. Und und und, auch Texas Heritage VY, Kuhlman Cellars oder Becker Vineyards. Alles in allem macht die Route in der Tat den Eindruck, als wäre der US 290 eine Art Pfälzer Weinstraße. So bewerben ihn nämlich die zuständigen Wein- und Touristikorganisationen. Und wieso Pfalz: weil die ersten deutschen Siedler in der Region 1845 in Scharen aus den grünen Hügeln der Pfalz nach New Braunfels emigrierten und später auch nach Fredricksburg zogen. Ersterer Ort gegründet 1845 von Prinz zu Solms aus der Pfalz, letzterer ein Jahr später von Otfried Hans Freiherr von Meusebach aus Dillenburg, der sich in USA John O. nannte und auf den Prinzen, auch genannt Texas-Carl, in gleicher Funktion folgte: Die zwei organisierten offiziell die Emigration der Pfälzer nach Texas.

Benedicte Rhyne - Französin,mit Master in Önologie, war eine Dekade Wunemaker der Kuhlman Cellars Foto Ulrike Wirtz
Benedicte Rhyne – Französin, Master in Önologie und eine Dekade Winemaker der Kuhlman Cellars in der Texas Hill Country AVA

An Wochenenden herrscht auf dem US 290 oft Hochbetrieb, auch in den Tasting Rooms, warnen Einheimische und stellen für Tage unter der Woche spürbar weniger Verkehr in Aussicht. Aber Achtung: Montags haben viele Tasting Rooms Ruhetag. Doch die Fahrt an diesem Sonntag im Mai gestaltet sich entspannt. Unser Ziel nach dem Texas Heritage VY: die  Kuhlman Cellars, ein gutes Jahrzehnt Benedictes Wirkungsstätte. Auch hier wieder viel Natur und quasi mittendrin ein modernes Gebäude ohne Pomp und Schnörkel. Es hat innen die Räumlichkeiten für Verkostungen und Bistro-Küche, draußen eine große Terrasse mit Tischen zum Verweilen und auf der Wiese bis zu den Rebstöcken weitere Tische. Auch hier lässt sich wieder schön entspannt probieren und plaudern.

Mineralische Böden, trockene Hitze, guttuende Höhenlage

Master-Önologin Benedicte ist ganz in ihrem Element, wenn sie über Wein spricht. „AVAs stehen für den Anbau gewisser Trauben auf bestimmten Böden und ein bestimmtes Klima. Auf dass Weintrinker einen bestimmten Stil und Geschmack erwarten können“, so Benedicte. Das heißt fürs Hill Country: „Es hat mineralische Lehmböden, auch anteilig Sand und das Sediment von Flüssen. Es gibt zudem Terroir kalkhaltiger Böden mit hoher Mineralität. Die hiesige Hitze ist eher trocken, das Klima im Winter kühler. Wir können Hagel und Frost haben. Wir liegen ja höher auf bis zu 800 Meter.“ Benedictes Traubenauswahl als Winemaker bei Kuhlman: „Der White Estate Grown ist ein Mix aus 70 Prozent Marsanne und 30 Prozent Roussanne. Beide Trauben sind Varianten aus dem französischen Rhone-Tal und werden in Stahlbehältern gekeltert.“

Ein weißer Topwein der Kuhlman Cellars - noch gewinzert Foto Ulrike Wirtz
Ein weißer Topwein der Kuhlman Cellars, gewinzert von Benedicte Rhyne

Blass-gelblich ist die Farbe dieses Weißen, geschmacklich kommt leicht Zitrus mit Noten von Birne und Ananas auf den Gaumen. Vollmundig, leicht, und von texanischer Sonne am besagten texanisch-blauen Himmel verwöhnt. Und die Roten: „Das sind Blends mediterraner Trauben. Mauvais, Grenache, Tempranillo, Malbec, Sangiovese usw.. Mediterrane Trauben wachsen auf den Böden und im Klima des Hill Country sehr gut.“ Im Geschmack seien die Rotweine leicht, samtig. „Aber ein Blend mit Cabernet Sauvignon, Tempranillio und Malbec kann auch stärker Tanin enthalten.“ Benedicte gießt den weißen Estate White nach, nimmt selbst einen Probierschluck: „Mild, sanft, fruchtig.“

Inzwischen führt die Önologin mit französischen Wurzeln ihren eigenen Weinbaubetrieb nahe Fredericksburg, betreibt ihn mit ihrem Gatten Richy und berät auch weiterhin andere Winzer. „Wir haben Rhyne Wines 2023 offiziell gegründet.“ Während quasi parallel bei den Kuhlman Cellars der Eigentümer wechselte. Bei Rhyne Wines als so jungem Betrieb sei die Auswahl noch entsprechend klein. „Unsere Trauben wachsen in der Texas Hill Country AVA und in der High Plains AVA im nördlichen Texas.“ Einen eigenen Tasting Room hat Benedicte noch nicht, verkauft online; aktuell ihren Grenache Rosè für 34 Dollar sowie einen L‘ éclipse Merlot für stolze 106 Dollar.

Becker Vineyards – einer der ältesten und größten Winzer vor Ort

Recht jung sind im Vergleich zu Weinbauern an der Pfälzer Weinstraße selbst die Becker VY – sind aber anders als Rhyne Wines und selbst der Texas Heritage VY einer der frühen Winzer in der Texas Hill Country AVA. Am großen Gebäude steht Becker Est.1992, also ein Jahr später gegründet als die Texas Hill Country AVA. Becker liegt nicht direkt am US 290, sondern direkt um die Ecke an der Becker Farms Road. Hier liegen Weinfelder, große Parkflächen und ein großes Gebäude, zu dem auch eine große überdachte Terrasse gehört. Drinnen warten diverse Tasting Rooms. Tyler Long ist der Koordinator der diversen Tasting Rooms von Becker VYs, steht am Eingang des riesigen Gebäudes an der Becker Farms Road und erwartet den Gast. „Wir sind nicht nur alt, sondern auch groß“, bemerkt er und zeigt über das ganze Areal.

Becker Vineyards-draussen Scheune nach deutschem Stil,,  drinnen Weinparadies-Foto Ulrike Wirtz
Becker Vineyards – draussen Scheune nach deutschem Stil, drinnen Riesenauswahl ihrer guten Tropfen

In der Tat. Allein das Gebäude, in dem auch die Verkostungen stattfinden: erbaut im Stil einer alten deutschen Scheune und das mit den Dimensionen eines Amtsgebäudes, mit hohen Decken, Haupt- und Nebenräumen, Kellern, in denen Weinfässer lagern und Stahltanks stehen und offenem Kamin in der großen Eingangshalle. Die Dimensionen passen zur Größe eigener Anbauflächen: 66 acres gleich 26 Hektar. „Und wir kaufen Trauben noch bei rund 15 Weinbauern in der AVA zu.“ Die von Becker verarbeiteten Traubensorten: elf an der Zahl wie etwa Cabernet Sauvignon, Malbec, Merlot, Syrah, Viognier, Chardonnay oder Sauvignon Blanc. Zudem verfügen sie über 74 Tanks zum Fermentieren und mehr als 5.500 Fässer zum Altern der Weine. Koordinator Tyler: „Wir sind der Winemaker in Texas, der die meisten französischen und amerikanischen Fässer aus Weißeiche einkauft.“

Becker Vineyards_Wein und Texas gehen gut zusammen - nicht nur_beim Roten Foto Ulrike Wirtz
In Texas gehen Wein und Ranger gut zusammen – nicht nur als Roter der Becker Vineyards

Pioniere seien auch sie gewesen, betont Tyler. „Becker war der erste im Hill Country, der die Viognier-Traube anbaute. Das war 1996.“ Und meint mit Pionieren die Gründer-Familie: der Arzt Dr. Richard Becker und Gattin Bunny aus San Antonio, Stadt in Süd-Texas. Das Duo hatte in der Gegend bei Fredericksburg nach einer alten Holzhütte als Wochenenddomizil gesucht, war dabei auf den Geschmack gekommen, sich dank Böden und Klima als Weinbauer und Winzer zu betätigen. Zuvor waren die Beckers in Sachen Önologie-Expertise vor allem in Frankreich unterwegs gewesen und hatten auch Lavendel mitgebracht, den sie an ihrem neuen Weinbaubetrieb anpflanzten. Weitläufige Lavendelflächen zieren nach wie vor den Besitz.

Topqualitäten heißen Estate Wine

Die Weinspezialitäten der Becker VYs, die Wein-Manager Tyler besonders erwähnt: „Unser Sauvignon Blanc – von fruchtig bis trocken. Und an Roten große im Geschmack eichenlastige Weine im Bordeaux- und Rhone-Stil. Wir sind der größte Producer in Texas und verkaufen unsere Weine in ganz USA.“ Das bedeutet auch: „Wir ziehen Estate-Topqualitäten an Sauvigon Blanc und Petite Syrah.“ Und verkaufen rund 80.000 Kisten Wein.

Rebstöcke der Becker Vinyards - und sie kaufen Trauben bei Nachbarn dazu Foto Ulrike Wirtz
Eigene Rebstöcke der Becker Vinyards – und sie kaufen Trauben bei Nachbarn dazu

Viel kleiner ist da ist der Texas Heritage VY, den Susan und Billy gegründet haben. Sie bauen ihre Estate Wines aktuell auf den eigenen 15 Acres gleich sechs Hektar Fäche aus. Auch sie kaufen weitere Trauben zu – aber nicht in dem Maße. An Weißen machen sie Weine etwa von Viognier und Albarrino. An Roten zum Beispiel von Bouschet, Merlot, Cabernet Sauvignon. „Alles in allem kommen wir auf aktuell 5.000 Kisten Wein“, sagt Susan und stößt darauf mit ihrem feinen Rosé Malbec an.

Wichtige Websites und weitere Info   

Umfangreiche Info zum Ort und seiner Umgebung, zu Attraktionen, Aktivitäten und Historie, zur Auswahl an Lokalen und Unterkünften bietet das Fredericksburg Visitor Information Center; per Web sowie direkt vor Ort. www.visitfredericksburgTX.com

Anreise Fredericksburg: Das Einfallstor zur Weinregion ist für Gäste aus der Ferne Houston und sein internationaler Airport G. Bush Intercontinental. Direktflüge ab Frankfurt mit Lufthansa und United Airlines. Von Houston sind es 320 Kilometer per Auto nach New Braunfels, die „Großstadt“ im Hill Country mit 100.000 Einwohnern. Näher als Houston, aber derzeit kein Nonstopflug ab Deutschland, ist San Antonio. Von hier bis New Braunfels im Auto: 110 Kilometer.

Ab New Braunfels: 70 Auto-Kilometer gen Norden via US 281 bis Johnson City, wechseln zum US 290 West, nun 50 Kilometer bis Fredericksburg. Die oben beschriebene Weintour ab Fredericksburg folgt dem US 290 East, also in umgekehrter Richtung gen Osten.

Websites der Winzer und ihrer Weinbaubetriebe oben: www.texasheritagevineyard.com. www.kuhlmancellars.com. www.rhynewines.com. www.beckervineyards.com. Übersicht über die Texas Hill Country AVA: https://texashillcountrywineries.org

Extratipp Unterkunft – das Trueheart Hotel und seine gemütlich-eleganten Cottages. Jedes Cottage beherbergt ein Gästezimmer in Parterre und je nach Bauweise ein weiteres im ersten Stock. Alle sind elegant-gemütlich möbliert, die Bäder extragroß mit allen Annehmlichkeiten inklusive kuscheligem Bademantel. Alle Gäste können im lauschigen Garten am großen Kaminfeuer relaxen. Highlight zum Frühstück: ein Picknickkorb mit frischen Bisquits, Obst und Saft; der Korb steht morgens vor die Tür.  

Hübsch und gepflegt - das True Heart Hotel in Fredericksburg Foto Ulrike Wirtz
Hübsch, gepflegt, gemütlich – das True Heart Hotel in Fredericksburg
Das True Heart Hotel ist drinnen und draußen idyllisch Foto Ulrike Wirtz
Seine Cottages sind einzelne Gästezimmer, Kamin und Garten sind für alle da Fotos Ulrike Wirtz

Extratipp Restaurant – Sage Restaurant & Lounge Fisch und Fleisch vom Feinsten. Weinkarte exzellent. Service gut. www.sage-tx.com

Gutes texanisches Rind direkt vor Ort gezogen - serviert  im Restaurant Sage in Fredericksburg Foto Ulrike Wirtz
Gutes texanisches Rind direkt vor Ort gezogen – serviert im Restaurant Sage in Fredericksburg
Relaxt und gediegen - die Atmosphäre im Restaurant Sage Foto Ulrike Wirtz.
Relaxt und gediegen – die Atmosphäre im Restaurant Sage Fotos Ulrike Wirtz

Natur Special – Enchanted Rock State Natural Area und sein Gipfel. Das Areal liegt auf knapp 600 Höhenmeter, seine Spitze ragt nochmals 130 Meter empor als breiter Monolith. Den gilt es zu erklettern, gute Schuhe vorausgesetzt, Klettererfahrung nicht nötig. Allerdings nicht nur bei extremer Hitze immer genug Wasser mitführen. Der Ausblick übers Hill Country belohnt die Kraxelei, für die man eineinhalb bis zwei Stunden einplanen sollte. Sportliche sind schneller. Wer sich davor scheut: Im Gebiet rund um den Enchanted Rock lässt sich schön wandern.  www.tpwd.texas.gov/state-parks/enchanted-rock

Enchanted Rock im Bluetenmeer TX Foto Ulrike Wirtz
Eine Klettertour auf den Enchanted Rock im Texas Hill Country ist Kult Foto Ulrike Wirtz

Stopp in Sachen US-Historie: Am US 290 an der Route von New Braunfels nach Fredericksburg bzw. in umgekehrter Fahrtrichtung kommt der Ort Stonewall – die Heimat des 36. US-Präsidenten Lyndon B. Johnson. Stonewall war sein Geburtsort, hier steht seine Ranch. Hier lebte Johnson vor und nach seiner Amtszeit. Heute ist die Ranch Museum und Bibliothek und Teil des National Historical Park zum Gedenken an den 36. Präsidenten. https://wwwnps.gov/lyjo

Hollywood Sign Foto Ulrike Wirtzt

Los Angeles County – bleibt die Reise wert

Nach den Bränden der letzten Wochen tut Unterstützung gut, um das Los Angeles County wiederzubeleben. Dazu ruft Visit California, die offizielle Touristikorganisation des Bundesstaats am Pazifik, auf. Reisende könnten bei Besuchen die weltbekannten Angebote zur Unterhaltung, innovative Gastronomiebetriebe und vielfältige Attraktionen in der Region erleben. Legendäre Attraktionen und Erlebnisse wie das Hollywood Sign, die Universal Studios Hollywood, der Santa Monica Pier, das Griffith Observatory und viele andere mehr blieben unberührt und stehen Besuchern offen.

Diese Initiative von Visit California ist ein zentraler Bestandteil der Bemühungen, der lokalen Wirtschaft wieder Impulse zu geben und Arbeitsplätze in der Tourismusbranche zu fördern. „Unsere Botschaft an Reisende ist einfach“, sagt Caroline Beteta, Präsidentin und CEO von Visit California. „Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um Los Angeles zu besuchen.“

Das Santa Minica Pier  am Pazifik und sein Pacific-Park warten wieder auf Besucher Foto Ulrike Wirtz
Das Santa Monica Pier am Pazifik und sein Pacific-Park warten wieder auf Besucher Foto Ulrike Wirtz

Jetzt, wo die wirtschaftlichen Auswirkungen der Waldbrände zunehmend deutlich werden. Caroline Beteta: „Einer von fünf tourismusbezogenen Jobs in Kalifornien befindet sich im Los Angeles County, was unterstreicht, wie wichtig die Tourismusindustrie für die Wirtschaft und ihre Bemühungen zur Erholung der Region ist.“

Wichtig zu wissen für Reisende vor Ort

Visit California hilft zudem weiter. Denn die Organisation stellt FAQs zur Verfügung, die aktuell und künftig Reisenden wertvolle Details zu Los Angeles eröffnen. Und zwar von der aktuellen Luftqualität und von Straßensperrungen bis zu Auskünften dazu, welche Ziele und Attraktionen geöffnet sind und wie Reisende örtliche Unternehmen unterstützen können. Visit California hat das Wesentliche zusammengestellt, um Reisen nach L.A. verantwortungsvoll und sicher zu gestalten.


Auch interessant:


Stand heute sind 98 Prozent von Los Angeles County nicht von Waldbränden betroffen. Und die drei aktiven Feuer sind zu über 95 Prozent eingedämmt. Updates zu aktiven Waldbränden werden auf der Webseite des kalifornischen Forst- und Brandschutzamtes (CAL FIRE) zur Verfügung gestellt.

Nach der Brand-Katastrophe

Nicht zuletzt: „Unser tiefster Dank gilt den Ersthelfern, die unermüdlich im Einsatz waren. Und wir sind zutiefst berührt von der großen Hilfsbereitschaft, die wir inmitten dieser Tragödie erleben durften“, sagt Visit-California-Vertreterin Caroline Beteta. „Von Angelenos, die ihre Zeit ehrenamtlich zur Verfügung stellten, über lokale Restaurants, die kostenlose Mahlzeiten anboten, bis hin zur Tourismusbranche des Bundesstaates, die Spenden für Evakuierte organisierten. Wenn es hart auf hart kommt, stehen Kalifornier zusammen. Und jetzt zählen wir auf Sie.“

Zurück zur Routine, auch wenn es schwerfällt - hier eine Statue aus den Universal Studios Foto Ulrike Wirtz
Zurück zur Routine, auch wenn es schwerfällt – hier eine Statue aus den Universal Studios Foto Ulrike Wirtz

Website und weitere Links:

https://www.visitcalifornia.com. Visit California auf Facebook, Instagram, YouTube und X.

F&Q: https://www.visitcalifornia.com/experience/california-travel-during-crisis-frequently-asked-questions/

Updates der Feuerwehr: https://www.fire.ca.gov

Hill Country Texas oder Pfalz - Foto Ulrike Wirtz

Lone Star State – von Wein, Wurst und Texas-Carl

Der US-Bundesstaat Texas steht bei vielen für große Ranches in weiten Steppen, Ölfelder bis in den Golf von Mexiko und für die Houston Mission Control der NASA und ihre Weltraum-Missionen. Dabei wartet mitten im Lone-Star-State – so genannt wegen des einen Sterns in seiner Flagge – das Texas Hill Country, in dem grüne Hügel übers Land rollen wie in der Pfalz. Wohin es deutsche Immigranten aus der Pfalz ab 1845 in Scharen zog. Die pflegen seither mal mehr, mal weniger ihr Erbe. Der Weinbau nimmt jedenfalls zu im texanischen Hill Country – siehe Beitrag zum Teaxs Hill Country und seinen Weinen. (Alle Fotos unten Ulrike Wirtz)

New Braunfels begrüßt Besucher mit einem Flaggenmeer Foto Ulrike Wirtz
New Braunfels begrüßt Besucher mit einem Flaggenmeer

Fehler passieren – so wie das Versehen im Sophienburg Museum and Archives in New Braunfels. Die Stadt mit 100.000 Einwohnern liegt mitten in Texas, Staat im Mittleren Westen der USA. Das Sophienburg, gegründet 1933, hegt und pflegt Tausende Memorabilien zu den deutschen Gründer-Familien der Region. Deren Herkunft erkennen heutige Reisende schon daran, dass Ortsnamen so deutsch klingen: Boerne, Fredericksburg, Gruene und eben New Braunfels. Was es mit letzterem Ort zum Beispiel auf sich hat: Die Stadt heißt nach dem Deutschen aus der Pfalz, der Siedlern aus seiner Region im 19. Jahrhundert den Weg nach Central Texas ebnete – ins Land der rollenden grünen Hügel ähnlich denen der Pfalz. Friedrich …Carl … Prinz zu Solms-Braunfels sein Name.

Drei Millionen Texaner deutscher Abstammung

Und wie das Museum zu seinem Namen Sophienburg kam: Es heißt nach der Gattin Sophie des selbigen Prinzen. Der lebte in Rheinland-Pfalz auf Schloss Rheingrafenstein, war mit weiteren Adelshäusern verwandt und reiste im Juli 1844 nach Texas, um vor Ort Land zur Ansiedlung für Einwanderer aus seiner Heimat zu organisieren und zu kaufen. Aus diesen Immigranten wurden bis heute drei Millionen Texaner, die als Deutsche qua Abstammung zählen.

New Braunfels und sein Sophienburg Musikinstrumente deutscher Siedler Foto Ulrike Wirtz
New Braunfels und sein Sophienburg Museum zeigt Musikinstrumente früher deutscher Siedler

Das und vieles mehr wird im Museum Sophienburg mit alten Fotos, Dokumenten und neuen Infotafeln erklärt. Und dokumentiert auch mit Mobiliar und Kleidung anno dazumal made in Germany. Ebenso ausgestellt: etwa Kegel und Kugeln aus Holz und Musikinstrumente , alle mitgebracht vom einstigen Zuhause.

Mainzer Adelsverein und Texas-Carl

Und der Fehler? Den ersten Raum der Ausstellung schmückt prominent an seinem Eingang ein Gemälde der deutschen Fahne. Ihre Streifen: Schwarz, Rot, Gold in der Reihenfolge von links nach rechts. Jedoch verlaufen die Streifen von oben nach unten statt quer, wie es der deutschen Flagge entspricht und schon im 19. Jahrhundert entsprach, als Menschen zuhauf aus der Pfalz nach Texas umzogen. Auf den Fehler hingewiesen, reagiert Keva Hoffmann-Boardman peinlich berührt. Verständlich. Schließlich ist sie die Kuratorin des Sophienburg Museums und auch zuständig für Lernprogramme zum Thema: „Ist es wirklich falsch, wenn die Streifen hochkant stehen?“

Der Gast. „Das ist so, als hänge die US-Flagge mit ihren Stars and Strips oder eine Abbildung davon hochkant. Dann fänden sich die Sterne unten links statt oben links. Und ihre Streifen verliefen vertikal statt horizontal. Die Kuratorin: „Okay. Dabei sind wir immer so akkurat, wenn es um unsere deutsche Historie geht.“ Und verweist auf ihre eigene Herkunft: „Du siehst, ein Teil meines Nachnamens ist Deutsch. Meine Großmutter war die dritte Generation pfälzischer Immigranten hier im Hill Country und sprach noch Deutsch. Selbst meine Eltern sprechen noch deutsch. Ich leider nicht mehr“, so Keva Hoffmann-Boardman.

Prins Solms neben der falsch aufgehängten deutschen Flagge Foto Ulrike Wirtz
Prinz Solms – neben der falsch hängenden deutschen Flagge

Wie die deutsche Geschichte in Texas begann, erzählt das Museum Sophienburg en Detail: Friedrich …Carl … Prinz zu Solms-Braunfels und weitere Adlige seines Umfelds taten sich für den Zweck der Immigration in den US-Staat im mittleren Südwesten zusammen und gründeten den „Verein zum Schutze deutscher Einwanderer in Texas“, kurz „Mainzer Adelsverein“.

Das geschah 1842 in Biebrich am Rhein. In der Sache war man so erfolgreich, dass binnen kurzer Zeit Hunderte Pfälzer ins Hill Country umzogen, das mit seinen Hügeln und Flüssen – dem schmaleren Comal River und dem breiten Guadalupe River – so an die alte Heimat-Idylle erinnert. Das Gefühl stellt sich auch schnell bei dem ein, der heute als Tourist in diese Hügellandschaft von Texas reist. Die Idylle an Rhein, Mosel und Saar lässt grüßen. Doch zurück in den Sommer 1844. Seither weilte der Prinz höchstpersönlich vor Ort in der neuen Heimat und war so extrem rührig, dass er den Spitznamen Texas-Carl bekam.

Neues Zuhause mitten in Texas

Selbiger gründete dann am 21. März 1845 den Ort New Braunfels, gelegen auf rund 200 Meter an den Ufern des Comal River. Im Dezember 1945 kehrte Texas Carl zurück an den Rhein, heiratete besagte Sophie. Sein Nachfolger vor Ort in Texas wurde Otfried Hans Freiherr von Meusebach und gründete im Mai 1846 den Ort Fredericksburg und benannte den nach Prinz Friedrich von Preußen. Fredericksburg liegt rund 120 Kilometer nordwestlich von New Braunfels, zählt heute 11.000 Einwohnern und schmiegt sich buchstäblich auf 516 Meter in die Hügel im Hill Country. Dort warten Wein und Weinstraße ähnlich der in der Pfalz – siehe Teil 2 (folgt).

Kultiviertes Deutschtum schöne Zeitreise

Doch zunächst steht New Braunfels an – wie bei den einstigen Einwanderern. In der Stadt pflegen die einstigen Pfälzer ihr Erbe im Museum und im Hier und Jetzt des täglichen Lebens: architektonisch, kulturell auch bei der Sprache und lukullisch. Somit treffen Besucher unweigerlich auf Deutschtum, angefangen bei den Ortsnamen. Oder bei den Siedlernamen, zu denen es im historischen Distrikt von Braunfels um die Straßen Comal Avenue (Ave) und East Mill Street (St) noch deren einstige Häuser gibt.

New Braunfels Schöner Wohnen im Historic District  Foto Ulrike Wirtz
New Braunfels steht für sehr schönes Wohnen im Historic District

Heute ist hier überwiegend Wohngebiet mit Einfamilienhäusern: meist hübsche Holzhäuser umgeben von Blumenrabatten, Hecken und Laubbäumen – alles entlang schmaler Straßen, die sanft bergauf und bergab führen. Es sieht gemütlich aus und ist es auch, da kaum Betrieb herrscht. So können sich die alten Häuser hervortun, obschon sie klein bemessen sind, auch bei Fenstern und Haustüren. Sie haben also so gar nichts vom typischen Südstaaten-Stil nach griechisch-römischem Vorbild, sondern könnten so auch in Denkmal geschützten Dörfern an Ahr und Rhein stehen.

Hier wie da wurden sie von Pfälzern – hier als Siedler – in Fachwerk-Bauweise errichtet wie typisch zur Mitte des 19. Jahrhunderts in Good Old Germany. In der neuen Heimat heißt die Bauweise Timber Framing und wird im Museum anhand einer Musterwand anschaulich erklärt. Im historischen Teil von New Braunfels informieren Hinweisschilder an einzelnen Häusern, wie mit ihnen alles anfing. Als da wäre das

Bescheidene Anfänge In New Braunfels im Historic District - erste Siedler-Häuser wie das vom später berühmten   Botaniker LIndheimer Foto Ulrike Wirtz
Zeitzeugen In New Braunfels im heutigen Historic District – original alte Häuser früher deutscher Siedler wie das vom später berühmten Botaniker LIndheimer

Haus Nr. 491 in der Comal Ave, ein schlichter Bau in grau-blauer Farbgebung. Hier war um 1852 Ferdinand Lindheimer zu Hause, der als der Entdecker überhaupt der texanischen Botanik gilt und dem zu Ehren die Stadt New Braunfels 1928 nahe seinem Wohnhaus eine grüne Oase gewidmet hat: den Lindheimer Plaza mit Bäumen und Bänken und seit 2014 anerkannt als Lone Star Legacy Park. Diese Einstufung verleiht der Staat Texas als höchste Ehrung einer solchen Gedenkstätte und ehrt damit prominente Bürger, denen bereits lokal besondere Ehre erteilt wird.

Fachwerk-Bauweise wie in der Pfalz

Dann das Hohmann House an der 273 East Mill St, das durch spätere Anbauten und eine Veranda mit Säulen im Südstaatenstil nur noch wenig vom einst deutschen Baustil erkennen lässt. Es könnte sich aber auch am britisch-viktorianischen Stil orientieren, dem im späten 19. Jahrhundert etliche Zugereiste frönten. Wieder eher alt-pfälzisch kommt das Guessow House an der 234 Comal St daher: ein Haus in Weiß mit braunen Holztüren und Fensterläden und genauso vorstellbar an der pfälzischen Weinstraße.

Das hatte ein gewisser Gustav Schmidt anno 1865 für 100 Dollar gekauft und im folgenden Jahr für das Vierfache weiterverkauft. Wie geschäftstüchtig. Das Haus heißt heute aber nach Wilhelm Guessow, der das Haus 1881 erwarb. Wer die Übersichtskarte zur alten Downtown durchgeht, stößt immer wieder auf Deutsche aus den frühen Jahren im Hill Country; so etwa ein Joseph Klein mit Haus von 1852 (135 North Market St) oder ein Heinrich Voelker mit Haus von 1872 (424 Comal Ave). Die Liste ließe sich fortsetzen, die Zeitreise wie durch historische deutsche Idylle auch.

Krause’s Café ist gastronomisch alles – nur kein Café

Diese Reise geht in Downtown in Krause’s Café & Biergarten weiter, mit seinen Anfängen 1938. Ein Plakat draußen zeigt, was unter anderem zu erwarten ist: nämlich Masskrug-Stemmen mit Krügen made in Germany – das über den Sommer. Die Ankündigung könnte schon wegen ihrer Optik mit den Originalkrügen auch irgendwo in Bayern aushängen.

Deutsches Erbe in New Braunfels - daran erinnert das Mural bei Krause's Café Foto Ulrike Wirtz
Noch mehr deutsches Erbe in New Braunfels – daran erinnert das Wandgemälde draußen bei Krause’s Café

Die hohe Wand schon draußen am Eingang schmückt ein groß dimensioniertes Wandgemälde mit dem Spruch „Gemütlichkeit zur Ewigkeit“ und dazu ein Mann in weißer Metzgerschürze, der Würste im Bündel in der Hand hält. Drinnen geht es stilistisch mit alemannischer Bierzelt-Atmosphäre weiter, denn die Gäste sitzen an den typisch deutschen Biergartentischen und -bänken.

Bierzelt-Atmosphäre und Jäger Schnitzel

So setzt es sich lukullisch fort: Die Karte bietet eine Munich Platter, bedeutet Sauerkraut, Schweinerippe und Würstchen nach bayerischer Art. Des Weiteren steht im O-Ton zu lesen: Jäger bzw. Wiener Schnitzel (letzteres vom Kalb); Schweinshaxe und German Meatball (deutsche Frikadelle) mit Spätzle. Der Spruch über den zig Bier-Zapfhähnen der Theke lautet „In New Braunfels ist das Leben schön“. Und unter den angekündigten 80 plus Biersorten aus den Hähnen reicht die Auswahl von Bitburger über Paulaner bis Warsteiner.

Viel Tradition, gute Bierzelt-Atmosphäre in Krause's Café Foto Ulrike Wirtz
Germanische Tradition in nicht zu deftiger Bierzelt-Atmosphäre – dafür steht Krause’s Café in Downtown New Braunfels

Aber ehe es zu viel wird der gepflegten Deutschtümelei, gezapft wird auch Bud Light, ein US-weit verbreitetes Bier, oder Revolver Rewind, ein in Texas für Texas gebrautes Pils nach deutscher Manier, oder Yellow Rose, ein IPA-Bier mit viel Hopfen, also eher bitter und blond in der Farbe. Zu essen gibt es überdies noch Burger und Grilled Ribeye handcut von texanischen Rindern.

Mehr als deutsches Back to the Roots 

Indes steht das Hill Country für noch mehr Fakten und Feeling, im Lone Star State unterwegs zu sein. Das zeigt sich an texanischen Autokennzeichen vor Krause’s Café oder Aufklebern auf Autos pro Trump bzw. mit der Aussage, dass Texas ein roter, also republikanischer Staat bleiben soll. Das ist er seit langem, und der Wunsch dieser Texaner ging mit Trump’s Wiederwahl im November 2024 in Erfüllung.

Trump-Fans gibt's auch in New Braunsfels Foto Ulrike Wirtz
Trump-Fans gibt’s überall – auch in New Braunsfels

Das Flair vom Staat großer Ranches in weiten Prärien transportieren auch Leute mit Western-Stiefel und Cowboy-Hut auf den Asphaltstraßen. Und auch auf Plakaten kommender Life Acts bei Krause’s etwa für den Country-Western-Sänger Monte Good oder Reggae- und Rock-Interpret Rich Lockhart lassen sich beide Protagonisten mit Cowboy-Hut abbilden.

Metzgerei-Handwerk in 6. Generation

Deutsche Fleischwaren sind zwar auch die Spezialität der 1845Texas Meat Company und das seit 1845. Jedoch habe die Metzgerei ihre Produktpalette inzwischen nach texanischem Geschmack erweitert, betont Brandon Dietert, aktuell Vice President der 1845Meat Company und in direkter Linie ein Nachfahre der einen von zwei Gründerfamilien des Betriebs. „Wir waren zugleich Mitbegründer von New Braunfels – zeitgleich mit Texas-Carl“. Seinen Ritt durch die Tradition macht Brandon verständlicherweise mit einem gewissen Stolz. „Dietert – das sind wir als die eine Gründer-Familie der Metzgerei. Die andere waren Verwandte von uns, die Familie Tays. Unsere Vorfahren kamen auf einem kleinen Segelschiff nach hier. Drei Monate dauerte ihre Reise.“ Beide Familien sind auch heute Inhaber der Company mit genau 180-jähriger Tradition in 2025.

Noch immer Metzger-Handwerker üben die Nachfahren erster Familien in New Braunfels aus Foto Ulrike Wirtz
Seit 1845 üben die Nachfahren erster deutscher Familien in New Braunfels das Metzger-Handwerk aus

Brandon Dietert spricht von sich und seiner Familie als „Texas-Germans. Ich bin in sechster Generation direkter Nachfahre der Gründer. Meine Kinder also 7. Generation. Unsere Familie kam mütterlicherseits aus der Pfalz, väterlicherseits aus Norddeutschland“. Seine Großeltern und Eltern seien noch traditionell im Sinn ihrer Herkunft gewesen. Brandon: „Sie sprachen Deutsch miteinander und wollten die Tradition fortgesetzt wissen. Deutsch sprechen noch etliche Texas-Germans. Wie auch mein Großvater. Er war 90 und hat mich nie wirklich akzeptiert, da ich nicht Deutsch lernen wollte“. Ergänzt in Deutsch mit US-Akzent: „Verstehen kann ich Deutsch schon.“ Fährt wieder in seiner landessprache fort: „Meine Kinder lernen es in der Schule und lesen es gut. Aber wirklich sprechen können sie Deutsch auch nicht.“ 

Altdeutsche Rezepturen modernisiert mit würziger Schärfe

Brandon kommt auf den Betrieb zu sprechen: „Wir fertigen teils nach unseren alten deutschen Rezepten. Nämlich geräucherte Würste, Schinken und Bratwurst. So wie es unsere Eltern, Großeltern usw. taten.“ Aber schon die 5. Generation – seine Eltern – hätten die Ware weiterentwickelt. Konkret: „Sie nahmen die gleiche Würze, aber mehr davon. Wir heute stellen auch Würste mit scharfen Jalapeno her. Passend zum mexikanischen Einfluss in Texas.“ Schließlich habe texanischer Grund und Boden einst der Nachbarnation Mexiko gehört. Und heute leben viele Mexikaner samt ihrer Lieblingsgerichte im Lone Star State. „Zudem fügen wir heute unseren alten Rezepturen neue angesagte Geschmäcker hinzu, Schärfe etwa durch schwarze und grüne Pfefferkörner. Und bald starten wir mit Dry Aged Salami wie aus Italien.“ Was sie natürlich seit langem auch anbieten: „An Thanksgiving Truthahn. Ein Muss zum Erntedankfest“, betont Brandon. „Da sind wir ganz amerikanisch.“

Süße Verführungen in der 2Tarts Bakery

Die Unterhaltung findet statt in der 2Tarts Bakery in Downtown New Braunfels. Hier trifft man sich. Einige sagen sogar, hier sei der eigentliche Mittelpunkt von Downtown entstanden. Jedenfalls ist von hier vieles gut fußläufig erreichbar. So sind es von der Bäckerei 300 Meter zu Fuß zu Krause‘s Café und zum Brauntex Performing Arts Theatre; desgleichen zum Restaurant Huisache Grill, das mit modern-leichter Küche und internationaler Weinkarte sehr zu empfehlen ist, und zum Historic Schmitz Hotel, dessen Name ähnlich dem Namen Krause deutscher nicht sein könnte. Zum Farmer’s Market im Stadtzentrum sind es 400 Meter zu Fuß, zum Lindheimer Haus an der Comal Ave einen knappen Kilometer. Die 2Tarts Bakery brummt. Die Warteschlang ist lang. Man kommt einfach ins Gespräch.

In der 2Tarts Bakery warten viele süße Verführungen Foto Ulrike Wirtz
In der 2Tarts Bakery warten viele süße Verführungen

Die Bäckerei gehört den zwei Schwestern Ashley und April, früher Weilbacher und beide gut 40 Jahre alt. Ashley Landerman: Köchin und Patissière mit Diplom der irischen Ballymaloe Cookery School und aus dem US-TV bekannt als Preisträgerin in Back- und Kochsendungen. April Ryan: studierte Künstlerin, verantwortliche Hochzeitskuchen-Planerin, als solche auch preisgekrönt und als Geschäftsfrau ehrenamtliche Lobbyistin für kleinere Betriebe wie den eigenen.

New Braunfels - eine der zwei Chefinnen des 2Tarts, ist April Ryan Foto Ulrike Wirtz
April Ryan ist eine der zwei Chefinnen des 2Tarts

Das Duo arbeitet mit einem Team von gut 30 Teilzeit-Kräften. Und untertreibt mit dem Namen Bakery – Bäckerei. Denn deren Kuchen, Teilchen, Nachtische, deren französische Eclair und Macaron, elsässische Tarte Tatin mit Apfel, Scones nach irischem Rezept und Hochzeitskuchen – alles ist süße Verführung und traditionelles Konditorhandwerk mit viel französischem Touch.

Alles frisch in den Backofen

April: „Wir wollten von Anfang an nicht „deutsch“ backen, sondern europäisch.“ Daher auch der französische Name 2Tarts für den Betrieb, gegründet 2010. Man arbeite mit hoher Qualität und nur mit frischen im Gegensatz zu nicht prozessierten Zutaten. „From Scratch“, sagt April und ergänzt. „Da arbeiten wir ganz anders als hierzulande die typischen Brot- und Kuchenfabriken.“ Die Philosophie beider Schwestern: „Wir machen alles von null selbst, arbeiten nur mit Bio-Mehl, frischen Eiern und jeder Menge frischer Butter“ (April). Und alles beziehen sie aus der Region, auch die Pecan-Nüsse für den für den Staat typischen Texan Pecan Pie. Der darf im Angebot nicht fehlen – und schmeckt köstlich.

Früher schon mal Ghost Town

Mit den Geschicken und Geschichten deutschstämmiger Familien aus den frühen Jahren hört es an der Peripherie von New Braunfels nicht auf. Zum Beispiel Gruene, 1850 gegründet als selbständiger Ort, heute ein Teil von New Braunfels und von 1950 bis in die 1970er Jahre zur Ghost Town geschrumpft. Einige alte Gebäude blieben erhalten, wurden restauriert und beherbergen nun auch Restaurants und Shops. Und zeugen von der Zeit, nachdem eine deutsche Familie Grüne 1845 hierher gezogen war, in eine Gegend, wo es noch nichts gab außer Land und Guadalupe River. Sie machten nach und nach mit Baumwolle Geld. Der Ort wuchs. Das Haus der Gründerfamilie überlebte und ist heute als Gruene Mansion Inn ein Hotel.

Das Gruene Mansion Inn war einst Wohnhaus der Gründerfamilie Gruene Foto Ulrike Wirtz
Das Gruene Mansion Inn war einst Wohnhaus der Gründerfamilie Gruene

Heute ist Gruene vor allem auch bekannt und gut frequentiert wegen seiner Dance Hall. Deren Bauherr war Heinrich Grüne, später genannt Henry Gruene. Er ließ sie 1878 errichten. Auch sie überlebte das Auf, Ab und Auf des Orts und gilt heute als eine der ältesten ihrer Art. Ihr Gebäude aus Holz mit Zinkdach erinnert in Größe und Bauart an eine groß dimensionierte Scheune. Eine Tür schwingt leicht quietschend auf und zu. Und im Rhythmus, wie die Tür auf- und zugeht, ist Musik von Violine, Gitarre und Klavier mal mehr, mal weniger laut zu hören.

In der Gruene Hall wird seit 1878 getanzt Foto Ulrike Wirtz
In der Gruene Hall wird seit 1878 getanzt

Ihr Dance Floor sind alte Holzbohlen, auf denen sich Western-Boots mit normalen Schuhen, die mit Eisen beschlagen sind, ein kräftiges Klack-Klack-Duell liefern, egal ob darin die Füße von Männer oder Frauen stecken. Der Traditionstanz heißt Two-Steps. Sich vorzustellen, dass es so seit 150 Jahren geht – wow.

Klack klack fast täglich

Gedränge herrscht zwar nicht an diesem beliebigen frühen Donnerstagnachmittag. Aber der Tanzboden ist gut gefüllt. „Fast täglich ist hier Tanz. Da kommen Einheimische und Touristen hin“, erzählt später Margy vom B&B Historic Kuebler Waldrip Haus. Von hier sind es 15 Minuten im Auto zur Tanzhalle. „Gruene ist immer ein Tipp von uns für unsere Gäste.“ Ein Blick in die Annalen der Dance Hall zeigt: Hier traten und treten internationale Berühmtheiten auf, Country-Stars, darunter Garth Brooks und der jüngst verstorbene Kris Kristofferson.

Den Ort Gruene gründeten Deutsche 1850, ein Schild weist den Weg heute zur Grillwurst  Foto Ulrike Wirtz
Den Ort Gruene gründeten Deutsche 1850, ein Schild weist den Weg heute zur Grillwurst

Auch die US-Rockband ZZ Top gab sich 2019 die Ehre, mit ihren texanischen Wurzeln in Houston, Millionenmetropole mit dem Flughafen G. Bush Intercontinental drei Autostunden entfernt. Aktuell steht Lyle Lovett, Ex-Gatte von Julia Roberts, auf der Bühne. Das deutsche Erbe manifestiert sich unübersehbar an der Werbung eines Imbiss, die deutsche gegrillte Wurst verheißt.

Ohne Pferd und Kutsche

Wie einst die Gruenes zog es auch die ersten Besitzer des heutigen B&B Kuebler Waldrip Haus in die Abgeschiedenheit außerhalb der neuen Stadt. Doch das sollte sich kaum ändern, der Besitz liegt nach wie vor abgelegen. Daher stellt sich hier ein Gefühl ein, wie es einst einmal gewesen sein muss. Wie es per Pferd oder Pferdekutsche oder zu Fuß nach New Braunfels ging – damals wie heute rund zehn Kilometer. Nur dass man heute im Auto bequem über asphaltierte Straßen fährt und in zehn Minuten in New Braunfels ist. Was angelegen bedeutet: Das Kuebler Waldrip Haus liegt inmitten von 18.000 Quadratmeter Weiden und Wiesen, hat nur einen Nachbarn sichtlich da hinten. Am Weg hierher zeigte sich nur an Gattern und Zäunen, dass sich irgendwo weitere Anwesen verbergen.

Hier checkt also gut ein, wer es so einsam mag. Margy ist die Hausherrin des B&B, zählt rund 80 Lenze und setzt sich gern zum einen und anderen Plausch zu den Gästen, erzählt von den Anfängen ihres Kuebler Waldrip Hauses, während unter blauem Himmel auf der Terrasse am Haupthaus gefrühstückt wird. „Das Haupthaus ist 1870 aus Limestone und schweren Hölzern gebaut worden. Haus und Land gehörten ab 1870 bis 1974 erst Andreas und Katherine Pape, dann Willie und Olga Kraft. Beide Familien sind auch deutscher Herkunft. Wir haben 1974 die Immobilie gekauft.“ Wir, das waren sie und ihr Gatte Larry Waldrip. „Mein Mann ist verstorben“, so Margy. „Nun führe ich das B&B mit unserem Sohn Darrell. Deutsche Gäste wissen wegen der Namen sofort, dass unsere Familien Kuebler und Waldrip auch aus Deutschland kamen. Die Waldrips sollen aus Westfalen stammen.“

Mit spanischem Erbe

Aber Margy hat sich eher weniger dafür  interessiert – „sondern mehr fürs Spanische, zumal Texas einst Teil von Mexiko war. Später wurden wir zur Republic of Texas mit der langen Grenze zu Mexiko. Seit 1845 sind wir der 28. Staat der United States of America. Deutsch spreche ich nicht, aber Spanisch. Ich habe die Sprache sogar unterrichtet. Ich war Lehrerin.“ Bis sie in den Ruhestand ging und das Kuebler Waldrip Haus zum B&B machte. Das war 1987.

Rustikales Wohnen im B&B Kuebler Waldrip Haus außerhalb von New Braunfels Foto Ulrike Wirtz
Rustikales Wohnen im B&B Kuebler Waldrip Haus außerhalb von New Braunfels

Heuer hat ihr Betrieb zehn Gästezimmer, verteilt auf drei Gebäude im rustikalen Stil: das im Jahr 2000 neu erbaute Haus plus das Haupthaus von 1870 plus das dritte von anno 1847. Letzteres ist aus Holz, hat drinnen alte Dielen, die beim Betreten knarzen, und draußen eine geräumige, überdachte Veranda.

Schul-Zeit zum Faulenzen

Es dient als Ferienwohnung für Familien, hat moderne Bäder und eine voll ausgerüstete Küche mit allem Pipapo. Noch dazu hat das Holzhaus von 1847 eine besondere Geschichte. Denn es wurde als Schulhaus erbaut, die Schüler der ersten Siedler drin unterrichtet. Hinzu komme noch etwas, erzählt Margy. „Die Schule stand früher woanders, war zuletzt zu alt und klein geworden und stand 1990 zum Verkauf. Wir haben das einstige Schulhaus erworben und es aufwändig per LKW zu uns transportieren lassen.“

Gäste wohnen im Kuebler Waldrip Haus auch in einem einstigen Schulhaus Foto Ulrike Wirtz
Gäste wohnen im Kuebler Waldrip Haus auch in diesem einstigen Schulhaus

Doch genug der neuen und alten Geschichten. Vor der Veranda werfen Laubbäume angenehme Schatten und lassen einen in einem Schaukelstuhl von anno dazumal versinken und schön faul vor sich hindösen.

Wichtige Websites und Infos

Allgemeine Informationen zu New Braunfels und Umgebung unter https://visitnbtx.com. Zur Erkundung von New Braunfels Historic District auch zu Fuß https://walkingtournewbraunfels.com. Details zu Krause’s Café https://krausescafe.com. Zum Metzgereibetrieb mit 180jähriger Tradition https://1845Meat.com. Zur Konditorei der Schwestern April und Ashley www.2tarts.com. Zum Ort Gruene, einst eine Ghost Town, unter https://gruenetexas.com. Speziell zur Tanzhalle Gruene Hall von 1872 https://gruenehall.com. Zum ruhig gelegenen B&B Kuebler Waldrip Haus www.kueblerwaldrip.com

Extra-Tipps zum Essen: Huisache Grill and Wine Bar, die internationale Tropfen, auch deutsche, und natürlich texanische serviert. Die Wine-List ist sehr gut sortiert. Seine Küche beschreibt das Restaurant mit 30 Jahren Tradition selbst zurecht als kreativ und bezieht seine Zutaten aus der Region. Köstlich sind seine frischen gegrillten Forellen, sein Spinatsalat oder die klassischen Sandwiches modern-leicht interpretiert. Steaks gibt es natürlich auch. Das Restaurant im kleinen alten Gebäude aus den 1930er Jahren mit Bar, Kamin und Terrassenbetrieb hat zeitlos-gemütliches Flair mit angenehm-intimer Atmosphäre drinnen wie draußen. https://huisachegrill.com

Feine Kücheim alten Gebäude - der Huisache Grill in New Braunfels Foto Ulrike Wirtz

Gristmill River Restaurant & Bar, gegründet 1977 und in Gruene direkt am Ufer des Guadalupe River gelegen. Seine Location: die Überbleibsel einer Baumwoll-Mühle von 1878. Sein Erkennungszeichen: der alte Wasserturm. Flair und Kochstil: leicht rustikal – von großer Steak-Auswahl über frischen Fisch und Burger bis zu Salaten. Durch die Lage und seine Bauart wirkt es klein und verwinkelt, ist aber sehr groß. An Getränken gibt es Biere und Weine, auch aus Texas, aber gerade auch Sangria und Margarita. https://gristmillrestaurant.com

Gruene - das Restaurant  Gristmill  tischt am Ufer des Guadalope auf Foto Ulrike Wirtz.
Gruene – das Restaurant Gristmill tischt am Ufer des Guadalope River Leckeres auf Foto Ulrike Wirtz
Tignes - französisches Skiparadies in den Savoier Alpen Foto Tignes

Tignes en France – Skiparadies der Superlative

Der Ort Tignes auf 2.100 Meter gelegen. Höchster Punkt der Pisten knapp unterhalb der 3.456 hohen Gletscherspitze La Grande Motte, zugleich Endstation der Seilbahn. Die oberen Hänge auf 3.000 Meter Höhe regelmäßig von der Winterwetter-Fee mit 100, 150 Zentimeter Neuschnee bedacht. Im Ort selbst frische weiße Pracht – gern auch 100 Zentimeter und mehr. Da leuchten die Augen nicht nur von regelrechten Brettl-Freaks, sondern auch von denen, die Skifahren einfach mögen. Eine weitere gute Nachricht: Das Wintersportrevier Tignes ist heuer wie jedes Jahr früh dran gewesen – die Lifte laufen in Tignes seit 23. November. Seither heißt es Ski und Rodel möglich im mit Liften verbundenen Revier von Val D’ Isère, dem Nobelort Frankreichs für Wintersport und auf 1.785 Meter gelegen.

Tignes - Schneeparadies für Groß und Klein-Foto andyparant.com
Tignes ist ideal fürs Üben und Fahren – für Groß und Klein Foto andyparant.com

Wenn Tignes und Val D‘ Isère ihr gesamtes Skiparadies öffnen, erwarten den Gast  wieder insgesamt 300 Kilometer Pisten mit 159 Abfahrten für alle Stufen des Könnens auf zwei Brettern oder einem Brett; auf den Pistenplänen oder draußen im Schnee markiert von grün (einfach) über blau (mittelschwer) bis rot (schwer) und schwarz (nur Experten). Wer es gut kann, der überwindet bei seinen Sausefahrten imposante Höhenunterschiede von bis zu 1.900 Meter. Vom höchsten Skigipfel über den Ort Tignes, bekannt auch als Tignes Val Claret, geht es noch einige hundert Meter tiefer Richtung Tal – mit dem Ort Brèvières auf 1.550 Meter als Endstation fürs winterliche Treiben im Areal.

Hier lang oder da lang - Foto andyparant.com Tignes
Hier lang oder da lang – die Reviere Tignes und Val D‘ Isère sind auch Teil der superben Skiareana Trois Vallées Foto andyparant.com

Das Gesamtrevier Tignes/Val D’Isère umfasst 3.680 Hektar hochalpines Gelände in den schönen Savoier Alpen nahe der Schweizerischen Grenze jenseits von Genf. Davon 480 Hektar markierte beaufsichtigte Pisten und 2.600 Hektar off-pist – unbewachtes Gelände also, in dem sich nur die wirklichen Könner aufhalten sollten, um im Tiefschnee auf Skiern und Snowboards ihre Zöpfchen in den Tiefschnee zu flechten oder um auf Touren durch das winterliche Hochgebirge zu streifen. Was für Möglichkeiten.

Mehr als nur Fun auf Skiern und Snowboard

Die lassen einen auch schnell vergessen, dass Tignes und Val Claret wegen ihrer Lage in luftiger Höhe keine natürlich gewachsenen Orte sind, die mit alter Tradition und gemütlicher Architektur als Schneeziele locken wie bekannt aus der Schweiz, Österreich und Deutschland. In diesem Teil der Dreitäler – der Trois Vallées, wie die Region im französischen Teil der Savoier Alpen auch heißt und zu der noch Val Thorens und Meribel gehören – fing der Skitourismus erst in den 1960er/1970er Jahren an; zu Zeiten, als Jean Claude Killy das Maß aller Dinge unter den Skirennfahrern weltweit war. Mit Unterkünften damals in ultramodernen Hochhäusern, die später als unansehnlich galten.

Wohnen in Tignes - früher High-Riser, heute Chalet-Stil AP8_9470-Foto andyparant.com
In Tignes waren früher High-Riser angesagt, danach zog der Chalet-Stil ein Foto andyparant.com

Doch viele Bausünden aus den Anfängen ließ man hinter sich, bietet nun eine ganze Palette – vom modernen, umweltfreundlichen Komfort der Résidences Le Kalinda bis zur stilvollen Eleganz des Fünf-Sterne-Hotels VoulezVous. Ganz neu ab dieser Saison: das schicke Chalet Hôtel Quartz in Val Claret.

Und war anfangs lange nur Skifahren die Hänge und Pisten hinunter angesagt, werden nunmehr auch andere Winteraktivitäten geboten, auch für Kids. So frönen Free-Styler ihrem Brettlsport im eigens angelegten DC Park. Für Langläufer werden Loipen gespurt. Andere wiederum entspannen sich vom sportlichen Tun in dünner Höhenluft beim Schlittenfahren – das gilt für Große wie Kleine.

Tignes - winterliches Vergnügen im hochalpinen Gelände - Foto Tignes
Schnee en masse am Weg in den hochalpinen Savoier Alpen Frankreichs Foto Tignes

Wieder andere nehmen als Fußgänger Lifte in die Höhe, genießen oben das Bergpanorama verschneiter Gipfel inklusive Mont Blanc, der höchste Berg Europas. Man relaxt oben ( und natürlich auch in den Orten unten) auf Terrassen unter blauem Himmel und genießt Lunch und/oder Drinks zum Après-Ski im Angesicht schroffer Gipfel mit und ohne Schneekuppen. Zum geselligen Treff lädt zum Beispiel auch die Berghütte Le Palet auf 2.431 Höhenmeter ein und das bei stimmungsvoller Live-Musik. 

Besonders genüsslich blieb einem selbst vor Ort in Erinnerung, wenn nach der letzten Talfahrt ein leckeres heißes Gericht wartet – in Landesmanier am besten ein Fondu oder Raclette mit dem berühmten Käse der Savoier Alpen.

Websites und weitere wichtige Info:

Allgemein Deutschsprachige Info zu Tignes über https://de.tignes.net

Buchen Gerade auch Specials gibt es unter https://booking.Tignes.net/winter

Anreise Per Auto zum Ziel geht es schön durch die Schweiz – am besten am idyllischen Lac d’ Annecy im hübschen französischen Städtchen Annecy vorbei. Der nächstgelegene Flughafen ist Chambéry rund zwei Auto-Stunden von Tignes. Alternativen: drei Stunden entfernt die Flughäfen Genf (Schweiz) und Lyon. Wer im Zug anreist, fährt bis zum Städtchen Bourg-Saint-Maurice und nimmt von hier für die 30 Kilometer bis Tignes Bus oder Taxi.

Lifttickets Hier einige Varianten. So kostet ein Skipass bis Weihnachten nur für das Skirevier Tignes 366 Euro für 6/7 Tage (bis 20.12.24). Der Skipass für die Skireviere Tignes/Val D‘ Isère zusammen kostet in der Zeit bei 6/7Tagen 426 Euro. Wer nur einen Tag das ganze Revier erkunden möchte, zahlt im gleichen Zeitfenster für den eintägigen Skipass 71 Euro. Der Fußgänger-Pass für Lift bzw. Gondel kostet in Tignes für einen Tag 26 Euro. Damit geht es hinauf zu höchstgelegenen Aussichtspunkten mit Blick auf den fernen Mont Blanc und den nahen La Passe.

Ausrüstung leihen Skier und Skistöcke sowie Snowboards, jeweils plus Ski-Stiefel können bei mehreren Anbietern vor Ort geliehen werden. Leihe ist schon vorab online möglich.

Schlechtwetter oder nach dem Skitag Dann gilt als Treffpunkt das Tignespace mit 3.500 Quadratmeter für Wellness und Fitness. Hier kommen bequem wieder alle Könner-Gruppen zusammen, auch die Kids, die tagsüber in der Skischule waren. Perfekt auch das Aqua-Center Le Lagon im Tignespace.

Südstaaten-Flair vom Feinsten in Charleston Foto Discover South Carolina (2)

3 Tage in – Charleston/South Carolina

Unsere Autorin Ulrike Wirtz war für Lebensart-Reise.com vor Ort. Alle Fotos Ulrike Wirtz, außer anders vermerkt.

Die Hafen- und Universitätsstadt Charleston ist mit 150.000 Einwohnern für US-Verhältnisse klein – und gilt als großes Reiseziel. Das liegt am Historic District mit seiner Dichte schön restaurierter Häuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert, mit schmucken Gärten und schattigen Alleen. Und dann die maritime Lage am Charleston Bay, einer Ausbuchtung des Atlantiks. Und obschon Charleston heute fast kleinstädtisch-idyllisch wirkt: Groß waren vor Ort Ereignisse zu Zeiten der Sklaverei – mit Folgen bis zur Gegenwart.

1. Tag früher Morgen – einstimmen mit Walk zum Bay

Der erste Morgen beginnt mit einem Spaziergang durch das historische Downtown – vorbei an hübsch restaurierten Wohnhäusern und Amtsgebäuden, an alten Gemäuern mit Hotels und Shops aller Art. Vieles ist echt alte Südstaaten-Architektur, erzeugt Beschaulichkeit und führt auf eine Zeitreise. Das Flanieren lässt sich genießen – über einladende Bürgersteige. Ziel: das Charleston Bay, an dem die Stadt liegt.

Häuser echt alt aus dem 18. Jahrhundert im Historic District von Charleston Foto Ulrike Wirtz
Flanieren und Häuser bewundern – diese zum Beispiel aus dem 18. Jahrhundert

Viel Attraktives im Historic District ist fußläufig zu erreichen, gerade auch von den zahlreichen Hotels im Viertel aus wie das Mills House Charleston, ein Boutiquehotel der Curio Collection by Hilton, die Bleibe meiner Wahl und seit 1853 Grand Hotel am Platze. Von außen kommt das Traditionshaus im blassen Pink wie typisch im Süden daher. Drinnen ist alles modern-elegant, auch die Zimmer und Bäder.

Mills House Hotel Lobby Foto Ulrike Wirtz
Das Mills House Hotel ging 1863 als Grand Hotel an den Start. Heute gefällt seine zeitlose Eleganz – nicht nur die in seiner Lobby

Das Mills House Hotel liegt zentral an der Ecke Meeting Street/Queen Street (St.), so dass es zum Bay-Ufer nur wenige hundert Meter Spaziergang sind – die Queen St. East immer geradeaus. An ihrem Ende wartet der fünf Hektar große Water Front Park und sein Pineapple Fountain: ein mehrstöckiger Brunnen in Form einer Ananas und beliebt bei Hochzeiten fürs Gelübde. www.visit-historic-charleston.com

Beliebt fuer Hochzeitsgeluebde - der Pineapple-Fountain im Water-Front Park direkt am Bay Foto Visit South-Carolina
Beliebt für Hochzeitsgelübde – der Pineapple Fountain im Water Front Park am Charleston Bay Foto Visit South-Carolina

Kein Wunder vor dem Panorama: Bay, sprich Wasser bis zum Horizont. Überhaupt die Lage: Das Bay fängt die Flüsse Ashley, Cooper und Wando River auf, die vom Binnenland im Norden kommend ins Bay münden. Die Stadt Charleston verteilt sich über eine grüne Halbinsel zwischen Ashley und Cooper River. Und wenige Seemeilen südlich der Stadt geht das Bay in den offenen Atlantik über. Die gute Lage ließ die Stadt im 17. Jahrhundert entstehen und prosperieren.

Einst Charles Town nach dem britischen König

Es begann damit, dass 1663 der britische König Charles seinen Freunden Land in den Südstaaten schenkte, auch genau am Ort. Einer davon – ein gewisser Ashley – schickte 1670 erste Siedler in die Übersee-Latifundien. Die Leute benannten den Fluss vor Ort Ashley River nach ihrem Landlord und besiedelten das heutige Stadtgebiet – benannt anfangs Charles Town nach dem König. Später wurde daraus Charleston. Zurück im Hier und Jetzt sind zu früher Stunde auf dem Wasser Boote von Fischern zu sehen, die ihrem Job nachgehen, und in Ufer-Nähe Regatta-Boote, die trainieren. Am Wasser nach rechts kommen Water St. und East Battery St. mit Wohnhäusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert.

Hot Spots für Wohlstand, Sklaverei und Civil War

Weil die später Teil der City Tour, sind , heißt es nun links – parallel zum Bay über die Concord St. Richtung Charleston Harbor, einem großen Handelshafen. Zuvor kommt das Maritime Center mit einer Marina für Privatboote (bis hierher ab Mills House rund 1,6 Kilometer). An den Stegen der Marina sind Segel- und Motoryachten von klein bis groß fest gemacht, schaukeln leicht hin und her. Im Moment unvorstellbar, dass über das Idyll Hurrikans peitschen wie anno 1989 Hurrikan Hugo oder 1954 Hurrikan Hazel.

Paradies für Wassersport - Charleston am Charleston Bay und eine seiner Marinas Foto Ulrike Wirtz
Paradies für Wassersport – Charleston am Charleston Bay und eine seiner Marinas

Von der Marina starten auch die Ausflugsboote der Charleston Harbor Tours und die Shuttles zur Festungsinsel Fort Sumter, ein Hot Spot des Civil War von 1861 bis 1865 zur Abschaffung der Sklaverei. Am Marine Center befindet sich auch das International African American Museum (IAAM) zur Geschichte der Sklaven und ihrer Nachfahren, die sich heute African Americans nennen. Da Befestigungsanlage und IAAM Ziele am 2. Tag sind, geht es nun wieder zum Hotel – bei Durst auf Kaffee oder Tee über die Kings St., wo zum Beispiel an der Nummer 387 ein Starbucks lockt und vieles andere mehr.

1. Tag ab zehn Uhr bis 12 Uhr – Ante Bellum Mansion mit Führung

Das nächste Ziel am Morgen: das Edmondston–Alston-House an der 21 East Battery St. zehn Geh-Minuten vom Mills House. Das einst private Stadthaus dient heute als Museum in Sachen Ante Bellum Pracht im Süden ab Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Civil War. Das lateinische Ante Bellum bedeutet „vor dem Bürgerkrieg“ und findet sich oft zur Einordnung von Ära und Architektur und markiert damit auch Sklaverei, Reichtum der Sklavenbesitzer und scharfe Zäsur. Das Edmondston–Alston-House hat Bay-Lage und öffnet täglich um zehn Uhr – außer montags ab 13 Uhr. Erbaut 1825, ist die Villa nur ein Beispiel von vielen in Charleston für den Pomp bei Architektur und Wohnqualität Ante Bellum.

Edles Interieur Foto Ulrike Wirtz 7122
Prunkvolle Stadthäuser waren Anfang des 19. Jahrhunderts Insignien des Wohlstands – auch wenn auf Kosten der Sklaven

Draußen begrüßt einen eine geräumige Terrasse mit breitem Vordach auf Säulen und mit Schaukelstühlen, typisch damals und immer noch ein Anblick, der Lust auf Müßiggang macht. In der Etage darüber Balkone wieder mit Säulen und Dach drüber. Drinnen schmücken das Haus antik-elegantes Mobiliar, üppige Gardinen, kostbares Porzellan, geschliffene Gäser, Besteck und Kerzenleuchter aus Silber und jede Menge Gemälde.

Fernrohr für die schöne Aussicht aufs Charleston Bay Foto_Ulrike_Wirtz_7121
Fernrohr für schöne Aussichten auf das Charleston Bay

Guide Jeff zeigt auf sein Namensschild, da steht auch Chicago: „Da komme ich her. Aber mir gefällt das gute Wetter hier im Süden besser.“ Keine Frage: In Charleston erreichen die Temperaturen 23 Grad Celsius im Jahresdurchschnitt, über den Sommer spielend auch gut 30 Grad. Im Hinterland, wo die Brise vom Bay fehlt, ist es noch heißer. Jeff: „Daher leistete man sich Ante Bellum außer einem Mansion auf der Plantage oft auch ein Stadthaus, um vor der Sommerhitze zu flüchten. Und in der Stadt war mehr Entertainment.“ Film und Roman „Vom Winde verweht“ lassen grüßen.

Noch ein schönes historisches Haus in Charleston
Und noch ein schönes historisches Zuhause in Charleston

Auf den Plantagen in South Carolina drehte sich fast alles um den Reisanbau. „Und es ging um den Farbstoff Indigo. Und den Handel mit beidem“, so Guide Jeff. „Baumwolle und Zuckerrohr wuchsen bevorzugt in den benachbarten Südstaaten Louisiana, Alabama, Mississippi und Georgia.“ Und hier wie dort das gleiche: Die Plantagenbesitzer ließen vor allem aus Westafrika Menschen als Sklaven herbeischaffen und auf ihren Feldern schuften. Diese Großgrundbesitzer und Geschäftsleute, die unmittelbar oder mittelbar am Plantagen-Business mitverdienten, wurden reich und reicher. Man wohnte in den Städten oft als Nachbarn in den Städten – in den Vierteln des Geldadels. Bis der Civil War der Barbarei und dem Business 1865 ein Ende setzte: mit dem Sieg der Union der Nordstaaten gegen die Konföderierten der Südstaaten, die sich von den USA losgesagt hatten und weiter an der Sklaverei festhielten.

In South Carolina wuchs vor allem Reis auf den Plantagen

Guide Jeff kehrt bei seinem Erzählen zurück zum Edmondston–Alston-House: „Sein Bauherr war vor fast 200 Jahren Transportunternehmer Charles Edmondston. Der verkaufte sein Stadthaus 1838 an den Reis-Plantagenbesitzer Charles Alston.“ Daher der Doppelname. „Alston besaß sechs Plantagen außerhalb von Charleston. Viele Einrichtungsstücke von heute gehören original zum Haus. Alles andere stammt aus dem 19. Jahrhundert und wurde für den Museumszweck zusammengestellt.“ 6000 Square Feet, also fast 600 Quadratmeter, ist das Stadthaus groß und hatte ausreichend Platz auch für die damals größte Privatbibliothek weit und breit.

Kunst und Kultur und Mobiliar aus Europa gehörten zum guten Ton der Ante Bellum Ära  Foto Ulrike Wirtz
Kunst, Kultur und Mobiliar aus Europa gehörten zum guten Ton der Ante Bellum Ära – wie hier im Edmondston-Alston-House

Selbst für heutige Zeiten wirkt die private Bücherei groß – „Bildung schrieb man groß“ (der Guide). „Zum angesagten Lebensstil gehörten auch Reisen nach Europa. Und es war en vogue zu musizieren. So hielten es auch die Alstons.“ In den nächsten Zimmern stehen denn auch Piano und Harfe, herangeschafft damals wie das feine Mobiliar aus New York oder Europa. Im Esszimmer gibt’s einen Tisch zu bewundern: mit feinem Silber bestückt, Teetassen, Weingläsern aus Kristall. „Alles ist echt alt“, betont Jeff. Was seine Zuhörer hörbar beeindruckt: „Wenn der Tisch ausgezogen ist, passen 22 Leute dran.“ Wow. www.edmonstonalston.org

1. Tag über Mittag – Market St. und City Market Hall

Über Mittag bietet sich die Market St. an – wegen ihrer Lokale und Geschäfte und der historischen City Market Hall an der Ecke Market St./Meeting St. Der Markt besteht sein 1807 und hat neben Ständen draußen auch geräumige Verkaufshallen mit Ständen rechts und links – mit vielerlei Tinnef für Touristen. Ein Stand verkauft aber schicke Hüte der US-Kultmarke Stetson.

Markt in Charleston - Stand mit Hüten der Kultmarke Stetson im-Foto Ulrike Wirtz 6710
In der Markthalle wartet viel Tinnef, aber auch diese Hüte der US-Kultmarke Stetson

Das Hauptgebäude des Marktes ist ein von vier Säulen verziertes Gebäude, zu dem zwei schmale steile Treppen hinauf führen. Es erinnert an einen Tempel, wurde in der Tat einem Vorbild in Athen nachgebaut und zwar 1841. Damals beherbergte das Gebäude die Verwaltung des Marktes, heute ein Confederate Museum mit Waffen etc. und erinnert an die Verfechter und Verteidiger der Sklaverei. www.thecharlestoncitymarket.com.

1. Tag nach 14 Uhr – Stadtführung mit Guide

Auf Stadttouren mit professionellen City Guides gibt es den besten Überblick über die Alt-Stadt, ihre architektonischen Highlights sowie Historie und Histörchen. Unser Guide: Gordon von Bulldog Tours. Er macht seine Touren bevorzugt an Nachmittagen – „dann kühlt es sich schon wieder ab. Ihr wisst, es wird hier ziemlich heiß.“ Und betont, was unser Spaziergang am Morgen schon gezeigt hat: „Charleston hat viele schöne Ante Bellum Häuser, auch im Hinterland finden sich Mansions aus der Ära und können besichtigt werden. Das alles zieht viele Touristen an – auch die nahen Strände von South Carolina wie Myrtle Beach im Süden von Charleston oder Hilton Head Island im Norden. Meist kombinieren Besucher beides.“ Genau.

Mit Guide Gordon wandern wir durch lauschige Sträßchen an Wohnhäusern vorbei, die es schon Mitte bis Ende des 18. Jahrhunderts gab. Manche Sträßchen führen schön am Ufer entlang, haben manchmal noch das alte Kopfsteinpflaster vergangener Zeiten. Alles ist gepflegt. Hier blassgelbe Fassaden mit grünen Fensterläden, dort weiße Fassaden und Fensterläden in zartem Beige, hier Balkone aus kunstvoll geschmiedetem Eisen, dort ebensolche Zäune um Vorgärten und Grundstücke.

Mit Guide Gordon-auf City Tour in Charleston Foto Ulrike Wirtz
Mit Guide Gordon auf City Tour durch Charleston

South of Broad nennt sich die Gegend, war schon früher das Viertel für Reiche und Schöne und ist es auch heute. Der Guide: „Die  Häuser aus dem 18. Jahrhundert sind Georgian Style und weniger üppig wie der danach angesagte Greek-Roman-Style. Alle sind Ante Bellum und stehen als Historic Landmarks unter Denkmalschutz. Und sie sind schnell einige Millionen Dollar wert.“

Nur ein Beispiel: das Heyward-Washington House in rotem Backstein an der 87 Church St.. Das ließ Reis-Farmer Daniel Hayward 1772 errichten. Den Doppelnamen trägt das Haus heute, weil 1791 US-Präsident George Washington drin nächtigte; einer der Gründervater der Vereinigten Staaten von Amerika, ihr 1. US-Präsident von 1789 bis 1797 und verehrt als Ikone der Demokratie, auch wenn Washington selbst einst als Plantagenbesitzer Sklaven beschäftigte, aber frühzeitig der Sklaverei abschwor.

Polit-Ikone George Washington Foto Ulrike Wirtz
Schattengestalt, aber nur als Statue im Park von Charleston: George Washington ist eine Ikone der US-Präsidenten bis heute

Weiter geht‘s zur Tradd St. und Bedons Alley, wo Wohnhäuser noch pompöser werden, auch sie renoviert, als Denkmäler geschützt und original Ante Bellum. Gordon: „Sie sind Greek-Roman-Revival. Der Stil kam rund 1830 in Mode und war en vogue bis zum Bürgerkrieg. Das galt für die Mansions auf dem Land wie für die Stadthäuser.“ Römisch-griechisch bedeutete vor allem mächtige Säulen und verzierte Kapitele – alles in Weiß, um dem Marmor der Antike zu entsprechen. Sie waren wohl aus Holz, nur weiß gestrichen. Die Säulen schmückten die Fronten und Terrassen vor und hinter den Häusern und auch das Innere der Hallen und Flure. Gordon. „Unsere alten Stadthäuser in Charleston haben oftmals größere Grundstücke mit Gärten und kosten dann oft noch einige Millionen Dollar mehr.“

Mein Baum, mein Bentley, mein Stadthaus Foto Ulrike Wirtz
Mein Baum, mein Bentley, mein Stadthaus in Charleston’s Historic District

Ein amtliches Gemäuer in dem Stil und regelrecht wuchtig ist das United States Custom House am Hafen 200 E Bay St. Es steht jedoch auch für eine andere Seite der damaligen Ära, weil nämlich schon lange vor Kriegsbeginn die politischen Zeichen auf Sturm standen. Gordon: „Denn mit seinem Bau wurde 1852, also neun Jahre vor dem Civil War, begonnen. Noch vor Kriegsbeginn ruhte die Baustelle wegen Geldmangels – bis 1879“. In dem Jahr wurde der Monumentalbau wieder in Angriff genommen und abgeschlossen und dient seither und bis heute seinem Zweck als Zollamt. www.bulldogtours.com

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Ante Bellum angesagt – der Greek-Roman-Revival-Stil; hier das Zollamt der Stadt am Bay

1. Tag später Nachmittag – Mrs. Whaley’s Garden

Weil sich die Gärten der Ante Bellum Stadthäuser hinter Mauern und Hecken verstecken, empfiehlt sich folgender Abstecher auf eigene Faust: zur historischen Villa an der 58 Church St.. Denn hier steht Mrs. Whaley’s Garden jedem offen – gegen zehn Dollar Eintritt. Er ist offiziell der einzige seiner Art und das ganze Jahr geöffnet jeweils nachmittags von Donnerstag bis Sonntag. Die Anlage stellt sich heraus als feine Oase mit Brunnen und Wasserspeier, mit Blumenrabatten aus Rosen und Azaleen, mit schmalen Pfaden und Rasen. Hier Vogelzwitscher, da Bienensummen. Im Teich spiegelt sich kitschig-schön der Himmel über Charleston.

2. Tag morgens – der einstige Sklavenmarkt

Der 2. Tag in Charleston steht im Zeichen der Sklaven und des Krieges um ihre Befreiung. Der erste Weg führt zum einstigen Markt, an dem Sklaven wie Ware gehandelt wurden: der Old Slave Mart an der 6 Chalmers St. und ebenfalls im Historic Distric (350 Meter zu Fuß vom Mills House). Die Sklaven waren zuvor aus Afrika auf Galeerenschiffen unter unmenschlichen Bedingungen „angereist“. Sie gingen am Bay nahe heutigem Maritime Center von Bord und zogen die wenigen hundert Meter zum Markt – über die Jahrzehnte zu Tausenden. Das Entrée zum Old Slave Market ist damals wie heute ein steinernes Tor, danach folgt eine Art Galerie. Das Tor wurde 1856 in der Prunkarchitektur des Ante Bellum erbaut.

Dabei war die Sklaverei seit 1808 bereits gesetzlich verboten – vom Parlament der USA. Tonangebend waren hier die Nordstaaten, die Union, und schafften die Sklaverei ab. Die Südstaaten dagegen hielten weiter daran fest, schlossen sich daher als Konföderierte Staaten zusammen und sagten sich 1861 von den USA los. Um das Verbot durchzusetzen, begann im gleichen Jahr der Bürgerkrieg. Aber selbst dieser Civil War stoppte vorerst nicht die Sklaverei der Süd-Staatler quer durch den Deep South, auch nicht in South Carolina. Am Old Slave Markt wurden Menschen noch bis 1863 verkauft. Da tobte der Krieg schon zwei Jahr, bevor er 1865 mit einer desaströsen Niederlage der Südstaaten endete.

2. Tag vormittags –  International African American Museum

Ein weiterer Ort des Erinnerns und ein Muss: das IAAM – siehe oben – am Marine Center. Aber anders als der Old Slave Mart ist es hochmodern, wurde 2023 – nach 20 Jahren Planungs- und Bauzeit – am Bay eröffnet. Sein Gebäude ist modern-schlicht, auch durch Fassaden in sandfarbenen Ziegelsteinen. Auffällig ist, dass der Bau auf 18 Säulen ruht. Sie sind vier Meter hoch und schützen vor Überflutungen vom nahen Bay. Drinnen warten diverse Hallen mit modernem Ausstellungskonzept.

IAAM drinnen - von der Sklaverei ins-Heute Foto Ulrike Wirtz 6816
Das neue IAAM erzählt die Geschichte von der Sklaverei und den Sklaven bis ins Heute

So erzählen Videos auf wandhohen High-Tech-Screens die Geschichten versklavter Menschen und ihrer Nachfahren, unterlegt das ganze mit Klängen ihrer alten Heimat und ihrer Musik bis heute. Fotografien und Schautafeln, auch interaktiv bzw. virtuell gestaltet, stellen geschichtliche Kontexte her und bringen den Betrachtern auch die Heimat der Vorfahren der African Americans näher; sowohl ihre Geografie als auch ihre Geschichte seit 300 v.Chr. bis heute.

Schautafel im IAAM - Lessons to be learnt - Foto Ulrike Wirtz  6824
Schautafel im IAAM zur unrühmlichen Rolle des Südstaats South Carolina

Fotografien, Dokumente, Bücher und Videos zeigen auf, wie Bürger afrikanischer Herkunft ihre neue Heimat seit Jahrhunderten mitgestalten und beeinflussen: kulturell, politisch, in der Musik, der Sprache, zudem auch bei der Kulinarik – bis hinein also ins tägliche Leben in den USA, wo sie vor 300 Jahren mit Gewalt unterjocht anlandeten. Zum Programm des IAAM gehören daher auch Wechselausstellungen mit Werken zeitgenössischer afro-amerikanischer Künstler. Und einzigartig: Nachfahren der African Americans können in einem großen Bereich im Museum systematische Ahnenforschung betreiben: mittels einer Fülle akribisch zusammengetragener Dokumente, auch von Soldaten unter den Sklaven, die als Freiwillige im Bürgerkrieg bei den Nordstaaten kämpften, nachdem ihre „Herren“ sie in die Freiheit entlassen hatten.  

Aktivster Hafen einst für den Sklavenhandel

Warum genau hier das moderne Museum  – an der 14 Wharfside St.? „Hier war einst das Schiffspier, wo Abertausende Sklaven an Land kamen“, betont Jamilah Frazier vom IAAM. Von hier ging es für viele weiter zum Old Slave Mart, um wie Ware versteigert zu werden. Oder sie wurden zu anderen Märkten der Südstaaten gebracht, um auch dort als Sklaven verkauft zu werden. Am Pier in Charleston landeten laut offizieller Statistik rund 40 Prozent der aus Afrika verschleppten Menschen an. „Damit war Charleston der aktivste nordamerikanische Hafen für den Sklavenhandel“, besagt eine Infotafel im Museum.

Den Ort der Ankunft in Unfreiheit markiert heute draußen am Museum ein Brunnen, um den herum steinerne Wege führen. Darin sind Mosaiken aus Muscheln eingelassen und stellen liegende Menschen dar. Jamilah Frazier: „Das erinnert daran, wie die Sklaven liegend – man muss sich das mal vorstellen – wie übereinander gestapelte Kisten unter Deck über Wochen angekettet transportiert wurden.“ Auch Bilder im Museum dokumentieren die grausamen Transporte, lassen einen erschüttert zurück.

Bodenmosaik am IAAM prangert Barbarei der Südstaaten an Foto Ulrike Wirtz
Bodenmosaik am IAAM prangert die Barbarei gegenüber den Sklaven an

Noch mehr Symbole, noch mehr Mahnmale draußen am Gebäude auf seinen hohen Säulen. Hier ein Garten aus Süßgras und afrikanischen Palmen und mit Bänken zum Verweilen. Dort ein Feld von Stelen aus Metall – ähnlich den Stelen in Berlin, die dort an die Verfolgung der Juden im Dritten Reich erinnern. Aber doch auch nicht nur das, betont Jamilah. „Drinnen wie draußen verschmilzt alles beim IAAM zu einer Erinnerung an das dunkle Kapitel der US-Geschichte. Zugleich wollen wir ein Ort der Hoffnung sein und zeigen, was die früheren Sklaven bis heute alles bewegt haben.“

... mit der Botschaft "I Rise" - "Ich erhebe mich" Foto Ulrike Wirtz
Mahnmal aus Granit soll auch ermutigen – mit „I Rise“ – „Ich erhebe mich“
Mahnmal aus Granit am IAAM soll auch Mut machen - mit der mahnung "I Rise" - Ich erhebe mich Foto Ulrike Wirtz
Hinter der Granitmauern kauern Gestalten – erinnern an Abertausende Sklaven

Genau die Botschaft vermittelt auch die große Skulptur aus schwarzem Granit, bestehend aus zwei langen Mauern, die zusammen einen Gang bilden. Der Granit der Mauer außen ist matt und innen poliert wie ein Spiegel. Man kann durch den Gang gehen, vorbei an Statuen in Weiß. Sie stellen Menschen in geduckter Haltung dar. Aber außen an den Mauern steht in Stein gemeißelt: „I Rise“. Ich erhebe mich. https://iaamuseum.org

2. Tag ab Mittag  – Bootstour nach Fort Sumter

Im Meer vor Charleston wartet mehr große Südstaaten-Historie zur Befreiung der Sklaven. Dafür geht es per Boot nach Fort Sumter – heute Gedenkstätte und Teil eines National Monument und National Park. Genau am Fort hat nämlich der Bürgerkrieg offiziell begonnen: am 12. April 1861. Der Ausflug hierher startet nahe IAAM ab Maritime Center und beginnt anders als einst für die Soldaten für unsereins heute mit Sightseeing. So passiert das Boot das Pier der Kreuzfahrt-Schiffe. Den Flugzeugträger USS Yorktown – ein schwimmender Gigant von 266 Meter Länge, 1940 in Dienst gestellt und seit 1970 im Hafen von Charleston als Museumsschiff vertäut.

Einst Marine-Gigant, heute Museum - die USS Yorktown vom Boot aus Foto Ulrike Wirtz
Am Weg nach Fort Sumter liegt der einstige Gigant der Marine am Kai – die USS Yorktown – und dient heute als Museum

Fährt vorbei an Frachtschiffen, die vielleicht gar deutsche Automarken (BMW produziert in Spartanburg/South Carolina und Mercedes in Montvale/Georgia) transportieren. Und Delphine kreuzen den Weg, drehen sich wie bei einem schön anzusehenden Tanz raus aus dem Wasser und wieder rein, wieder raus und rein – fast wie bestellt. 150 solcher Bottle Nose Dolphins sollen im Bay zu Hause sein.

Das Fort kommt in Sicht, sein Bootsanleger näher. Ein Park Ranger begrüßt am Eingang die neue Besuchergruppe. Dienst heuer hat laut Namensschild Robert Reinhard. Nach kurzem Welcome zählt er Fakten und mehr Erhellendes zur Befestigungsanlage auf: erbaut 1860 auf einer befestigten Sandbank am Übergang vom Bay in den Atlantik. Benannt nach Thomas Sumter, ein General im Unabhängigkeitskrieg gegen England. Militärisch genutzt bis 1948. Seither Teil des Fort Sumter National Monument. Ranger Robert: “Weitere Info findet Ihr unterwegs auf Infotafeln. Zudem gibt es hier ein Museum mit Fotos, Landkarten, Bauplänen und alten Kanonen. Und seht Euch den Film an – er lohnt sich.“ Und: Man könne sich nicht verlaufen, alles sei zugänglich, wenn nicht explizit verboten. „Und verpasst nicht die Rückfahrt.“

Ranger Robert am Fort Sumter Foto Ulrike Wirtz
Ranger Robert begrüßt Gäste am Fort Sumter – im Civil War Ort des ersten Angriffs
Fort-Sumter war 1861 Ort der ersten Attacke im Civil War - Fahne Foto Ulrike Wirtz
Fort Sumter ist heute National Monument und National Park

Auf eigene Faust geht es also durch das Fort und auf seine hohen Mauern hinauf: Dafür gilt es, steile Treppen zu erklimmen. Oben auf einer Art Plattform angekommen, wartet ein 360-Grad-Panorama übers Meer wie zu Zeiten der Schlacht vom April 1861. Was damals geschah: Die Unions-Truppen hatten das Fort gebaut und harrten hier in Vorbereitung des Krieges gegen die Konföderierten Truppen aus. Als den Unionisten der Nachschub ausging, machte sich für sie schlagkräftige Hilfe auf den Weg.

Angesichts dessen eröffneten die Konföderierten das Feuer auf das noch geschwächte Fort, setzten es in Brand und brachten die Unionisten am 13. April zur Aufgabe. Denn deren Pulvermagazin drohte zu explodieren. Doch so erfolgreich blieben die Sklavenhalter nicht und mussten sich am 9. April 1865 weiter nördlich im Bundesstaat Virginia ergeben. https://fortsumtertours.com

3. Tag vormittags – das Gibbes Museum of Art

Zum Ausklang dreht sich alles um die schönen Künste im Gibbes Museum (135 Meeting St). Sein Gebäude von anno 1905 beeindruckt in der eleganten Architektur der Beaux Art. Das heißt, alles, auch seine Säulen, sind filigraner als beim zuvor angesagten Greek Roman Revival. Drinnen sind gut 10.000 Kunstwerke aus vier Jahrhunderten ausgestellt, viele davon Gemälde mit Bezug zur Region. Sie stammen teils von „alten Meistern“ aus der Gegend. Darunter vor allem Jeremy Theus, geboren 1716 als Jeremiah im Schweizerischen Chur, verstorben 1774 in Charleston und berühmt als Maler von Porträts, die sogar das weltberühmte Metropolitan Museum of Art in New York zeigt.

Zeitgeschichte und auch spannend anzusehen: Fotografien vom Ende des 19. Jahrhunderts. Sie zeigen auch die Zerstörungen in der Stadt durch ein heftiges Erdbeben von 1886. Andere lassen gut erkennen, wie seither Charleston wieder auferstanden ist – als internationales Ziel am Bay mit viel mehr als Kleinstadt-Beschaulichkeit. www.gibbesmuseum.org

Weitere wichtige Info und Websites

Allgemeines für Reisen nach Charleston https://www.charlestoncvb.com; Reiseinfo zum Bundestaat South Carolina mitsamt Beaches https://discoversouthcarolina.com.

Das Hotel Mills House Charleston liegt zentral im historischen Distrikt, gefällt drinnen durch Eleganz und draußen durch große Terrasse mit Bar, mit Pool und Cabanas. www.millshousehotel.com; www.hilton.com

Extratipps Essen – Bintu Atelier Der Einfluss der African Americans auf die Kulinarik zeigt sich an der Gullah Geechee Cuisine. Wobei Gullah auch der Name der Sprache ist, die von den versklavten Afrikanern einst nach ihrer Ankunft in der neuen Welt entwickelt wurde. Die sprechen sie teils auch noch heute. Typische Gullah Geechee Speisen kredenzt Küchenchef Bintu im Cottage namens Bintu Atelier. Das Hauptgemüse ist Okra. Zum Reis gesellen sich Meeresfrüchte wie Krebse und lokaler Fisch gegrillt oder frittiert. www.bintuatelier.com

Leon’s Austern und Geflügel sind die Spezialitäten im Lokal, dessen ganzer Name Leon’s Fine Poultry and Oysters selbiges besagt. Aber Locals sagen nur kurz Leon’s zur Location an der 698 King Street in einer einstigen Autogarage. Das Erbe wird gepflegt durch offen zur Schau gestellte Eisenträger.

Südstaaten-Küche mit afrikanischem Gewürz Zucchini mit Sesam Foto Ulrike Wirtz 7219
Zucchini mit Sesam gehört zur Südstaaten-Küche

Der Laden ist riesig und brummt – wegen gebratener Hähnchen, roher frischer Austern und Shrimps, jeweils mit leckeren Saucen, wegen Sandwiches mit Chicken, mit gegrilltem Fisch oder gebackenen Austern. An Drinks kredenzt Leon’s Weine aus alter und neuer Welt, Biere national wie international und Cocktails. www.leonsoystershop.com

Charleston ist als kleinere Stadt ein Ort sogenannter Dive Bars, was in deutschen Landen so viel meint wie Kneipe um die Ecke. Das besagt nicht, dass eine Dive Bar in Charleston ein kleiner Laden ist. Aber es heißt meist: bis 2 am – also weit nach Mitternacht – geöffnet. Eine Auswahl:

A.C.’s Bar & Grill,467 Kings St.; www.acsbarcom. Burn’s Alley Tavern, 354 King St.; https://Burnsalley.com. Local 616, 616 Meeting St.;www.charlestonguru.com. Recovery Room Tavern, 685 King St.; www.recoveryroomtavern.com. The Griffon, 18 Vendue Range; www.griffoncharleston.com

Recovery Room Tavern -eine Dive Bar um die Ecke sozusagen Foto Ulrike Wirtz
Die Welt der Dive Bars, bei uns Eckkneipen genannt – hier die Recovery Room Tavern in Charleston
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Arnheims nachhaltiger Kreativ-Kosmos

Kleidung und Wohnliches einzukaufen ist das eine. Noch dazu am gleichen Ort den Prozess des Entwerfens, der Materialauswahl oder Materialaufarbeitung mit zu erleben, das ist das andere. Solche Kreativ-Shopping-Events bei den Designern eröffnet Arnheim, die südholländische Stadt am Nederrijn nahe der deutschen Grenze. Denn hier am Sitz der tradierten Akademie der Künste ArtEZ wartet ein so auch heißendes „Modekwartier“ mit 60 Studios und Shops individueller Macher von Mode, Taschen und Wohn-Accessoires. Noch dazu mit Fokus auf Nachhaltigkeit – anders also als das, was als Fast-Fashion um die Welt kreist. Auch hat das Arnheimer Mode-Viertel so gar nichts von Glamour oder Exaltiertheit, wie beides der Branche oft zugeschrieben wird.

Vielmehr draußen relaxtes Flair, während sich drinnen in Sachen Mode gutes Design mit handwerklichem Können vereint. Die Besucher finden sich nämlich nicht weit von den Ufern des Nederrijn in einer typischen Alt-Holland-Beschaulichkeit wieder. Hier verteilt sich schön fußläufig das Modekwartier in einem Gewirr enger Straßen mit oft kleinen Wohnhäusern und kleinen Handwerksbetrieben aller Art wie typisch in Wohnvierteln. Das Flair verstärken Cafés und Restaurants wie das Goed Proeven im historischen Gebäude, in dem einst die Post residierte.

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Auch nachhaltig: neuer Zweck für altes Gebäude – Restaurant Goed Proeven im einstigen Postkantor (alle Fotos Ulrike Wirtz, soweit nicht anders vermerkt)

Das Modekwartier begann 2006 als Projekt zur Stadtentwicklung und wurde von der Politik gefördert mit dem Ziel, individuelle kleine Studios und Ateliers nahe Zentrum anzusiedeln. Das ist knapp 20 Jahre her und gelungen.

Designer-getrieben und nachhaltig-ambitioniert

Inzwischen ist das Kreativ-Quartier das ganze Jahr über busy und das gerade auch in den Wochen bis Weihnachten und alljährlich im Juni mit einem Monat voller Events zu Mode, Design und Kultur, genannt Modemaand. Um nur einige etablierte Fashion-Designer zu nennen: das Schneideratelier Aarden mit Mode für sie und ihn, das auch vegane Maßanzüge offeriert.

Veganer Anzug des Ateliers Aarden – sein Chef Erik Toenhake, gelernter Biologe, geht nachhaltige Wege

Oder Begane Grond mit den Studios Net-A und Angel Hard, die beide Neues aus Getragenem schaffen.

Begane Grond - zwei Ateleirs hinter einer Fassade Foto Ulrike Wirtz 4797.jpg
Begane Grond steht für die Macherinnen Annet Veerbeek und Mirte Engelhard

Oder das Studio von Elsien Gringhuis, die Hochwertiges zum angemessenen Preis in Kleinstmengen fertigt.

Modeschöpferin Elsien Foto Ulrike Wirtz 4735
Im besten Sinn klassisch – Modeschöpferin Elsien Gringhuis schafft Zeitloses

Oder Fraenck: Das Taschen-Studio schafft aus Gebrauchtem wie ausgemusterten Stoffen und Filzen von Möbelherstellern und aus Kunstleder schicke Handtaschen, Rucksäcke und Shopper. Das Studio ist als Vegan-Betrieb zertifiziert, daher eben nur Kunstleder.

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Fraenck macht schicke Taschen aller Art aus Kunstleder und Filz, also vegan

Studio Hul le Kes

Der Besuch im Studio Hul le Kes zeigt exemplarisch, wie in diesem kreativen Kosmos in Arnheim der besondere Fokus auf Nachhaltigkeit gelegt wird. Unter der Marke Hul le Kes macht ein Männer-Duo Mode für „m/v/x“ und legt dabei Wert auf neue Paradigmen für ihre Kreationen. Das Duo sind Sjaak Hullekes und Sebastiaan Kramer; ersterer der kreative Part und das Gesicht nach außen, letzterer studierter Designer, zudem der Mann für Strategie und Zahlen.

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Das Duo hinter der Modemarke Hul le Kes – Sjaak (li.) und Sebastiaan Foto Scott van Kampen Wieling

Die zwei und ihr Hul-le-Kes-Team schaffen Nachhaltiges in minimalistischem Design, indem sie zum Beispiel aus ehemaligen Bettlaken hochwertige Hemden und Blusen schneidern oder aus einstigen Wolldecken Jacken und Mäntel für Herbst und Winter. Zudem fabrizieren sie Mode aus Kaschmir und Baumwolle für Kinder im Babyalter, machen aus Wollstoffen Taschen und Wohn-Accessoires, etwa Kissen. „Mehr als 95 Prozent unseres Materials diente zuvor anderen Zwecken“, so Sjaak von Hul le Kes.

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Mode made in Arnheim – ein Blick in den Hul le Kes-Flagship-Store Foto Scott van Kampen Wieling

Alles ist im internationalen Jargon der Branche up-cycling, also gute Qualität in Schnitt und Stoff – „with Focus on Character“, so Sebastiaan. Up-cycling heißt gerade auch: „Wir arbeiten bei den Bettlaken zum Beispiel nur mit altfranzösischem Leinen. Das finden wir in Holland und Deutschland und natürlich vor allem in Frankreich“, so Sjaak. „Und die Wolldecken sind handgemacht und kommen meist aus Holland.“ Das Duo setzt auf Klasse, kombiniert mit Nachhaltigkeit, so dass ihre Mode made in Arnhem im mittleren bis hohen Preis-Segment liegt.

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Sjaak zeigt, was bei Hul le Kes durch Up-Cycling entsteht – zum Beispiel elegant-rustikale Wolljacken

Unter der Modemarke Hul le Kes werden Kollektionen von der Tunika über Mäntel bis zu Kleidern, Röcken, Hosen und Tops entworfen und geschneidert. Ihre Größen reichen von null bis fünf, passen und getragen werden soll alles über Geschlechter hinweg.  Der Name steht zudem für Maßgeschneidertes nach Kundenwunsch, sogar mit eigenem Material der Kunden. Hul le Kes fertigt teils auch „made to order – das heißt, Stücke werden erst nach dem Kauf komplett nach Kundenwunsch gestaltet. So vermeiden wir Überproduktion und Wegwerfartikel“, so Sjaak.

Made in Arnheim für internationale Kunden

Das Duo zeigt seine Stücke international an renommierten Fashion-Adressen in Paris, Florenz und Düsseldorf und hat Handelspartner in Boutiquen von Rotterdam über Zürich bis Tokio und Kapstadt. Sie selbst verkaufen an Endverbraucher in ihrem Hul le Kes-Flagship-Store in einer einstigen Werkshalle in Arnheim und über ihren Online-Shop in Europa und bis nach USA. Und es gibt nicht jede Saison eine neue Kollektion. Zur Philosophie gehört, dass sie Materialien selbst umfärben und dabei experimentieren – „umweltschonend mit Naturstoffen, seien es Zwiebel, Nüsse und ähnliche Naturwerkstoffe“ (Sebastiaan).

Nachhaltig und mit Ethos bei der Arbeit

Überdies bieten sie Flick- und Änderungsservice an. Diese Arbeiten erfolgen im auf den ersten Blick überhöht genannten Recovery Studio. So heißt es, weil Recovery auch die Erholung von Menschen meint. Denn Sjaak und Sebastiaan setzen sich auch für soziale Komponenten ein, indem sie sozial Schwache, die etwa ein Burnout erlitten haben, im Handwerklichen anlernen. „Das geschieht bei uns als Safe Space. Das heißt, die Betreffenden arbeiten ohne Leistungs- und Termindruck“, so Sjaak, von Haus aus studierter Sozialarbeiter. „Dafür kooperieren wir mit anerkannten Sozialorganisationen. Das Soziale gehört zu unserer Philosophie von Nachhaltigkeit und Ethos.“

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Hul le Kes verwendet fürs Färben Naturstoffe

Um das Handwerklich-Individuelle jedes einzelnen Stücks der Modemarke Hul le Kes zu betonen, haben Sjaak und Sebastiaan ein originelles Markenschild erdacht. Das informiert zur Herkunft des Produkts aus ihrem Haus, enthält Angaben, woher sein Material kommt oder wann das Teil fertiggestellt wurde. Das Schild ähnelt optisch einem Pass – nur dass es an einem Bändchen am Produkt befestigt ist.

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Sjaak prüft Wollballen in der Schneiderei

Und was passiert, wenn jemand genug hat von seinem Modestück? Sjaak: “Der kann es uns zurückgeben. Wir machen wieder etwas Neues daraus, halten damit also den Lebenszyklus des Materials so langlebig wie möglich.“ 

Websites und weitere Info

Die Geschäfte und Studios liegen auf der gleichen Seite des Nederrijn wie der Hauptbahnhof Arnhem Centraal und sind von dort gut zu Fuß, per Bus oder Leihfahrrad erreichbar. Details zum Modekwartier und seine 60 Studios und Shops, zu Adressen, Anfahrt und Öffnungszeiten www.modekwartier.nl. Die quasi garantierten Öffnungszeiten: donnerstags bis sonntags; einige Geschäfte öffnen an weiteren Tagen.

Die genannten Studios/Ateliers: Aarden, Sonsbeeksingel 147, @aarden_responsible_wear; www.aarden.space. Begane Grond – Studios Net-A und Angel Hard, Klarendalseweg 476, www.net-a.nl. Elsien Gringhuis, Klarendalseweg 182, @elsiengringhuis, www.elsiengringhuis.com. Fraenck, Beekstraat 30, www.fraenck.com, @fraenck www. Hul le Kes, Wezenstraat 5, www.hullekes.com/hul-le-kes-store

Arnheim positioniert sich als Zentrum der Mode in Holland – auch durch die Initiative „Mode Partners 025“: eine Zusammenarbeit im Bereich Kreativer Kunst und Industrie von Museum Arnheim, Universität der Künste ArtEZ, Rijn Ijssel Creative Industry sowie State of Fashion und Fashion+Design Festivals Arnhem. Ihr Fokus liegt auf nachhaltiger und fairer Textilmode und Forschung und Entwicklung dazu auch auf internationaler Ebene https://stateoffashion.org.

Hoteltipp: das Fünf-Sterne-Hotel Haarhuis am Bahnhof, weil zentral gelegen und schick-relaxt bei Ambiente und Atmosphäre . Es wird gemanagt von Best Western und geht zurück auf das einstige Koffiehuis der Familie Haarhuis von 1918 am gleichen Ort.

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Nahe Bahnhof und relaxte Atmosphäre – das Hotel Haarhuis, hier die Lobby

Mit Rooftop-Bar Blou; mit der Wein- und Whiskey-Bar Storage im Keller; dem Restaurant Locals mit üppigem Kräutergarten, dem etliche klimatisierte Glas-Container als Gewächshäuschen dienen; und natürlich mit dem Café Hoek für Coffie und Patisserie. https://hotelhaarhuis.nl